
Wien. Angelika Kirchschlager schweift aus. Die Worte strömen, die Ideen sprudeln, das Gespräch wogt in vielerlei Richtungen. Als die Einstundenmarke schließlich überschritten ist, kommt sie am Gipfelpunkt ihrer Gesprächslust an: "Ich bin jetzt ein bisschen radikal", schickt sie voraus - und entwickelt dann Ideen, die man eher einer Grünen-Politikerin zutrauen würde als einer Sängerin aus der gediegenen Hochkultur.
Aber der Reihe nach und zurück zum Gesprächsbeginn: Ist die 49-Jährige wirklich noch "klassische" Sängerin? Populär geworden in den Opernrollen eines Mozart oder Strauss, sang sie zuletzt regelmäßig an Repertoire und Genre vorbei: eine Tournee mit Liedermacher Konstantin Wecker, ein Termin mit Akkordeon-Berserker Krzysztof Dobrek, demnächst zwei Abende mit Broadway-Hits (Ehrbarsaal, 7. und 14. Dezember) . . .
Wecker, das Atomkraftwerk
"Was ist eine Klassiksängerin?", fragt die Salzburgerin zurück. "Ist man es, wenn man in der Oper singt? Natürlich bin ich Klassiksängerin; ich habe das gelernt und singe auch so." Nur müsse man diese Technik nicht für das ewiggleiche Repertoire nutzen. Natürlich: Wer vom sicheren Weg abweicht, muss auch die eigene Komfortzone verlassen, wie Kirchschlager bei ihren Grenzgängen mit Wecker feststellte: "Man singt mit Mikrofon, mit anderen Musikern, in einem anderen Genre. Ein totales Experiment!" Es lassen sich dann aber auch völlig neue Energiequellen anzapfen. Wie Konstantin Wecker, trotz seiner 67 Jahre immer noch "ein Atomkraftwerk".
Diese Erfahrungen kämen dann auch Kirchschlagers ursprünglicher Domäne zugute. Also etwa ihrer Opernarbeit in HK Grubers "Geschichten aus dem Wienerwald" (zu sehen ab März im Theater an der Wien). Und natürlich ihren Liederabenden. "Ich nehme diese neuen Werkzeuge und versuche, sie in meine Auftritte hineinzutragen." Ziel ist vor allem ein Mehr an Direktheit. "Damit man den Menschen diese Musik nahebringt. Genau das ist ja unser Problem. Warum geht heute keiner mehr in Liederabende?"
"Keiner" mag zwar untertrieben sein. Leugnen lässt es sich aber nicht, dass die Beliebtheit schwindet. Warum ist es so? Perfektionisten, meint Kirchschlager, hätten das Genre auf ein "goldenes Podest" gehievt. Das Genre wirke heute "abgehoben" und sei von Dogmen diktiert: Schlankstimmig muss das Kunstlied klingen, opernhafte Töne verboten - und nur ja kein kunterbuntes Pasticcio.