Am Samstag war Wien Schauplatz gleich zweier musikalischer Sozialskulpturen gigantischer Ausmaße: Während nahe dem Gürtel mit dem Eurovision Song Contest das größte Musikereignis Europas über die Bühne der Wiener Stadthalle ging, wurde im Konzerthaus ebenfalls auf musikalische - wenn auch ganz andere - Weise europäische Integration zelebriert. Wobei die Dimensionen von "ein tag und eine stunde in urbo kune" nicht minder beeindruckend ausfielen: Im Zuge eines 25-stündigen Spektakels, dessen Vorstufen bereits seit letztem Herbst verfolgt werden konnten, sollte mit künstlerischen Mitteln eine neue europäische Hauptstadt, eine utopische "urbo kune" (Esperanto für "gemeinsame Stadt") errichtet werden. Dies geschah in einer Folge von musikalischen Performances, Vorträgen und intermedialen Interventionen.

Gründungsmanifest verlesen


Da wurde etwa vom Konzerthaus-Dach aus das Gründungsmanifest dieser "Kulturmetropole des 21. Jahrhunderts" verlesen. Da wurden die Foyers mit einer Klanginstallation von Peter Ablinger und Edgar Honetschläger bespielt. Da erörterte Thomas Macho historische Utopien und Gabu Heindl die Frage, wem der öffentliche Raum gehöre, da sollten migrantische Jugendliche in einem pädagogisch anmutenden Ensemblestück die Frage "Wie möchte ich leben?" beantworten. Da wurde Gérard Mortiers Vision der kulturellen Identität Europas verlesen, da stellte das Klangforum in "Combo" seine Fähigkeit zum kollektiven Komponieren unter Beweis. Da thematisierte Julya Rabinowich die verschlossenen Pforten Europas und unterhielt Daniel Wisser mit absurden "Zwischenfällen aus Europas Städten".

Zum Großteil bestand die "urbanistische Oper" jedoch aus "fertigen" Werken wie Iannis Xenakis’ archaisch-kraftvollem "Thalleïn", Aureliano Cattaneos Violinkonzert oder "Situation", Georges Aperghis’ kenntnisreichem Porträt des Klangforum Wien. Eine Collage bestehender Kompositionen prägte auch die Nachtstunden, während der mit Futons ausgelegte große Saal zu einer Rezeptionshaltung abseits des gewohnten Stillsitzens einlud.

Ein ehrgeiziger Versuch


"urbo kune" war nichts weniger als der ehrgeizige Versuch, die Avantgardemusik als politische Kunstform zu rehabilitieren - nicht ohne die Widersprüche einer sozialkritischen Neuen Musik deutlich zu machen, deren Konsum auch hier auf ein bürgerliches Publikum beschränkt blieb. Ungeachtet der ironischen Brechungen hat es etwas Scheinhaftes, wenn mit so großem ästhetischem Aufgebot letztlich doch wieder nur Gläubige bekehrt werden. Und gläubig musste sein, wer bis zum Schluss durchhielt: ein Fest für eingefleischte Klangforum-Fans.

Festival

"ein tag und eine stunde in urbo kune"

Konzerthaus Wien