Energiegeladen beschwingt, erfüllt von strahlender Anmut, goldenen Bögen und strammer Fröhlichkeit. Dazu noch eine internationale Botschaft: Mit Robert Stolz‘ "UNO-Marsch" nahm Dirigent Mariss Jansons den programmatischen Bogen und zugleich die Daseinsberechtigung des Neujahrskonzertes gleich im ersten Stück vorweg. Und doch wird dieses Partitur gewordene Klischee des traditionellen musikalischen Jahresbeginns dem lettischen Musiker bei weitem nicht gerecht.
Denn Jansons zeigte bei seinem dritten Neujahrskonzert am Pult der Wiener Philharmoniker einmal mehr, dass in schöne Töne gegossene Leichtigkeit seine Sache nicht ist. Er ist ein neugieriger Geschichtenerzähler. Einer, der jedes Werk so lange auf sein Wesen prüft, bis es seine Geschichte freigibt. Ist sie es nicht wert, erzählt zu werden, findet sie auch keinen Platz auf Jansons Pult. Er ist niemand, der einem Stück Musik seine Interpretation überstülpt. Konzertwalzer wie kleine Symphonien. Eine Ouvertüre als Opernminiatur, eine Polka als Ausflug in eine vergessene Welt. Kleine Dramolette im Dreivierteltakt.
Zart rauschende Ballnächte
So begrüßten die Musiker das neue Jahr, indem sie Szenen von rauschenden Ballnächten und so manche zarte oder rasante Begegnung plastisch werden ließen. Sei es im eleganten "Schatz-Walzer" von Johann Strauß‘ Sohn, bei dem das sehnsuchtsvolle Wiener Herz immer nur beinahe seufzend stolperte. Im silbrig schwebenden "Sphärenklänge"-Walzer von Josef Strauß. Und im eindrucksvoll majestätischen "Kaiser-Walzer" oder der tänzelnden jugendlichen Unvernunft, die Jansons bei der Polka française "Violetta" (beides Johann Strauß Sohn) durch den Saal schweben ließ. Oder in dessen rasantem "Vergnügungszug", bei dem der Dirigent nicht nur selbst zur Tröte griff, sondern auch zeigte, wie dynamisch differenziert Polka klingen kann.
Vor allem aber macht Mariss Jansons das, was den unverwechselbaren Klang der Philharmoniker zwischen absoluter Präzision und Wiener Seele am besten zur Geltung bringt: Er lässt sie spielen. Sie danken es ihm, indem sie seiner Lesart folgend das scheinbar Leichte, ernst nehmen, um ihm seine Leichtigkeit erst zu ermöglichen.
Das Neujahrskonzert 2016 ist jedoch nicht nur exzellent musiziert, es ist auch klug gebaut. Jansons blickt mit Carl Michael Ziehrers Walzer "Weana Madln" zurück zu den Wurzeln des Walzers im Landler. Wobei er die Philharmoniker zum mehrstimmig pfeifenden Ensemble werden lässt. Und er riskiert einen Blick nach Paris zu Strauß‘ Zeitgenossen Émile Waldteufel, der mit seinem lebensfroh eleganten "España" Walzer spanisches Flair brachte.
Wie kaum ein anderer Dirigent hat sich Jansons in die Programmgestaltung eingebracht. Sie trägt mehr als nur seinen Handschrift. Zu "Auf Ferienreisen" bekamen die (erfrischenden) Wiener Sängerknaben einen passenden Text inklusive Chorsatz dazu komponiert, um neben "Sängerslust" noch eine zweite Polka von Johann Strauß Sohn zu singen. Zu Josef Hellmesbergers anmutig zarter "Ballszene" und Johann Strauß‘ humoristisch flotten "Seufzer-Galoppen" ließ Jansons eigens neue, effektvolle Instrumentierungen anfertigen. Erschöpfte Seufzer der Musiker inklusive.
Maris Jansons drittes Neujahrskonzert zeigte, dass wahre Leichtigkeit und scheinbare musikalische Unbekümmertheit in der akribischen Vorbereitung stecken. Und dass Lebensfreude nichts Oberflächliches sein muss.
Für 2017 steht auf jeden Fall ein Generationenwechsel auf dem Programm des berühmtesten Konzertes der Welt: Der 34-jährige, aus Venezuela stammende Gustavo Dudamel wird als jüngster Neujahrskonzertdirigent in die Geschichte eingehen.
Konzert
Neujahrskonzert
Wiener Philharmoniker
Mariss Jansons (Dirigent)
Wiener Musikverein