Auch nach der Lektüre Ihres Buches hat man den Eindruck, dass Sie mit Unterhaltungsmusik nicht viel anfangen können.

Man sollte keineswegs arrogant gegenüber Unterhaltungskultur sein. Wir haben das Recht darauf, unterhalten zu werden, Eskapismus ist etwas Wundervolles. Beschäftigt man sich viel mit Musik, hat man an die Unterhaltungsmusik andere Ansprüche. Für mich ist Jazz, weite Teile von Weltmusik, die Arbeit von Nick Cave oder von Tortoise etwa ebenfalls Ernste Musik, die nach Wahrheiten sucht und die uns etwas mitteilen will. Und jenseits dessen gibt es Unterhaltungsmusik - und die kann genauso vergnüglich sein.

Allerdings sind Unterscheidungen schon vernünftig. Die sogenannte Ernste Musik will etwas Gültiges aussprechen, will etwas vermitteln. Das hat einen anderen Sinn als das, was die Unterhaltungsmusik tut. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Frage für die meisten Komponisten kein Problem war. Bach hat, wie wir heute wissen, während seiner Leipziger Zeit etwa 900 Stunden Kantaten in der Thomaskirche dirigiert, er hat aber dort auch 1200 Stunden Kaffeehausmusik gespielt. Oder Mozart: Er komponierte auch Musik, die ausdrücklich Tafelmusik war, also zum Essen und Trinken gespielt werden sollte. Aber heute tut man so, als ob das eine die "Hohe Musik" und das andere die "Niedere Musik" wäre. Musiker und Komponisten machen diese Unterscheidung nicht. Sie ist eine Konstruktion des Bürgertums und hat sich im 19. Jahrhundert mit der Kanonbildung etabliert.

Über Geschmack lässt sich nicht streiten?

Oh doch! Aber: Hörgewohnheiten werden geprägt. Man kann ja erst dann von musikalischem Geschmack sprechen, wenn man viele Vergleichsmöglichkeiten hat; wenn ich eine Bandbreite von verschiedenen Musiken kenne und sie durchschaue, wenn ich weiß, wie sie aufgebaut sind, und wenn ich sie rezipiert habe. Was man dann mag oder nicht, ist dann unabhängig von der Qualität tatsächlich eine Geschmacksfrage. Wenn sehr viel moderne, zeitgenössische Musik gespielt würde, auch im Radio, dann würden die Leute alle viel mehr und selbstverständlicher Gegenwartsmusik hören. Weil sie das gewöhnt wären. Während sie im Gegensatz dazu heute mit einem musikalischen Einheitsbrei sediert werden.

Und fast völlig außer Acht gelassen bleiben nach wie vor traditionelle Musiken aus anderen Kontinenten.

Das ist natürlich hanebüchen, dass Musiken anderer Kulturen nicht selbstverständlich vorgestellt werden. Was stattdessen läuft, ist "Verpoppisierung" von sogenannter Weltmusik. Daran sieht man, dass unsere Gesellschaften nicht wirklich offen sind. Es ist offensichtlich niemandem wichtig, dass wir die Vielheit der Kulturen überhaupt zur Kenntnis nehmen. Musik ist eben keine Sprache, die jeder versteht. Wir sind ja nicht nur Abendländer, wir sind ja vor allem Weltbürger. Dazu würde aber auch notwendigerweise dazugehören, dass wir die Vielheit der unterschiedlichen Musikkulturen goutieren und uns damit beschäftigen.