Klassische Musik vergreist - im doppelten Sinne: Zum einen werden vorwiegend "Alte Meister" gespielt, zum anderen ist das Publikum im Durchschnitt 60 Jahre alt. Bedingt Ersteres Letzteres?

Wie klassische Musik und Komponisten dargestellt werden und wie sie interpretiert werden, ist mehr für ein konservativeres Publikum geeignet als für junge Menschen. Das hängt auch mit den Ritualen im Konzertwesen zusammen: Man zieht sein bestes Gewand an, man muss still sein und ruhig sitzen, darf zwischen den Sätzen nicht quatschen. Die Rituale scheinen manchen ja wichtiger als die eigentliche Musik. Allerdings sind die Komponisten früherer Zeiten heute noch sehr attraktiv, deren Themen sind heute nicht minder aktuell und wichtig als in früheren Zeiten.

Woran scheitert es dann?

Das ist vor allem eine Frage der Bildung und der Vermittlung: Das Brisante, das Interessante, das in dieser Kunst steckt, wird nicht ausreichend vermittelt. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Musik von Leuten vermittelt wird, die eine Vision von diesen Werken haben, die deutlich machen, dass jeder Komponist und jeder Musiker Teil seiner Gesellschaft ist. Damit verbunden ist auch die Art der Interpretation: Beethoven war ein Sympathisant der Französischen Revolution und stand für die Werte der Aufklärung ein. Er hat seine Musik auch so gemeint.

Wenn ich Beethoven in einem langsameren Tempo spiele oder dirigiere, dann ist es ein anderes Werk. Bei seinen Symphonien etwa hatte er eine klare Vorstellung von den Tempi, er wollte relativ zügige haben. Konservative Dirigenten neigen hingegen zum Pathos und damit verbunden zu langsamen Dirigaten, Christian Thielemann ist hier ein Musterbeispiel.

Der Zugang zu dieser Musik ist aber auch eine Frage des Geldes.

Wenn es gelingen würde, wieder die Massen für Klassikkonzerte zu mobilisieren, dann wüsste man nicht, wo man sie alle unterbringen sollte. Die Plätze in den Konzertsälen sind begrenzt. Daher sind die Medien wichtig.

Warum sollen nicht alle Konzerte, die ohnehin von subventionierten Orchestern gespielt werden, kostenlos gestreamt werden? Oder Opernaufführungen in Mediatheken kostenlos abrufbar sein? Das wäre wichtig, um allen Menschen Zugang zu gewähren, gerade weil die Eintrittspreise größtenteils sehr hoch sind. Hinzu kommt, dass nach ein paar Jahrzehnten Neoliberalismus, Unterhaltungskultur, Konsumismus und Eventkultur das Anspruchsvolle, das einer tieferen Auseinandersetzung bedarf, immer weniger gewünscht und auch immer weniger rezipiert wird. Die Meister der neoliberalen Vereinfachung - da sehe ich Rechtspopulisten im gleichen Zusammenhang wie Florian Silbereisen oder Andreas Gabalier - sind Propagandisten banalster Unterhaltung. Und die setzen sich durch. Das sind grundsätzliche Probleme, die nicht nur mit Musik, ihrer Vermittlung und dem Zugang zu tun hat.