
Najla Said ist die in den USA aufgewachsene Tochter des Literaten Edward W. Said. Mit ihm zusammen hat Daniel Barenboim 1999 das West-Eastern Divan Orchestra gegründet. "Looking for Palestine" heißt Najla Saids Autobiographie, und so heißt auch das Stück von David Robert Coleman, das Barenboim und das Orchester auf ihrer Tournee Bruckners "Neunter" voranstellen. Österreichische Erstaufführung war am Donnerstag bei den Salzburger Festspielen.
Der Untertitel "Aspects of a situative Tragedy" beschreibt die Situation in diesem Werk irgendwo zwischen Melodram und Orchesterlied-Zyklus: Die junge Frau kommt zum ersten Mal ins Herkunftsland ihrer Eltern, erlebt den Strand in Tyre (Libanon), das "bluest water you can imagine", und überhaupt erlebt sie das Land als "my safe haven, my home again" - doch da ist schon der 11. Juli 2006, Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern, der Ort Tyre wird bald zerstört sein. Die Frau, die von sich schreibt, sie sei "eine palästinensich-libanesisch-amerikanische Christin", aufgewachsen "als Jüdin in New York City", wird, zurückgekehrt in die USA, ihre Herkunft, ihre familiären Wurzeln bewusster wahrnehmen . . .
Was als Musik recht vordergründig und marktschreierisch daherkommen könnte, hat der Engländer Coleman, der sein Handwerk bei Wolfgang Rihm und George Benjamin gelernt hat, mit gebändigter Expressivität umgesetzt. Die Töne der elektronisch verstärkten arabischen Laute (Oud) werden nicht als Lokalkolorit ausgereizt, sondern sind eingewoben in dichte, über weite Strecken flirrende Klangflächen. Das ist mit Augenmaß gesetzt, so dass sich die Sopranistin Elsa Dreisig ohne Forcierung behaupten konnte gegen das Riesenorchester.
Dann also die "Neunte" (das erste Mal, dass Barenboim sein Orchester mit Bruckner konfrontiert). Er wählte die Originalfassung, mit der ihm eigenen Verbindlichkeit lässt er vor allem die kammermusikalisch ausgeformten Passagen singen: Keine Wiedergabe, die auf wirklich große Linien oder knallige Bläsereffekt aus wäre.