Wien. Wenn sich demnächst im Konzerthaus das Klangkollektiv Wien erstmals dem Publikum präsentiert, verbreitet das den Hauch des Besonderen. Nicht, weil Wien damit ein neues Orchester bekommt - da hat es etliche gegeben. Die meisten davon waren, nun: Zweijahresfliegen. Manche haben auch geringfügig länger überlebt. Zumeist waren es Gründungen von Studierenden, Absolventen, oder es waren Spezialensembles, entweder für Alte oder für Neue Musik.

Das Klangkollektiv ist etwas anderes: Vor allem einmal rekrutieren sich die Musiker vor allem aus den Reihen der Wiener Philharmoniker, der Wiener Symphoniker und der Niederösterreichischen Tonkünstler. Damit sind sie Orchester-Vollprofis mit langer Konzerterfahrung. Außerdem tauchen sie tief hinein in ein heikles Repertoire-Segment, nämlich die Wiener Klassik.

Also das Normal-Repertoire? - Weit gefehlt. Das ist es längst nicht mehr. Außerhalb von kompletten Zyklen sind von Beethoven gerade einmal noch die Dritte, Fünfte, Siebente und Neunte Symphonie fest im Repertoire verankert. Schubert beschränkt sich auf die "Große C-Dur" und die "Unvollendete". Mozart wird immer weniger, Haydn, wenn überhaupt, erscheint als Einspielstück zu Beginn eines Konzerts.

Was ist da geschehen? Nun: Die Originalklang-Ensembles nehmen mittlerweile den großen traditionellen Orchestern einen erheblichen Teil dieser Musik weg. Komplizen dabei sind vor allem die Kritiker, die meinen, Haydns Heil läge in dünnem Streicherklang, pfeifenden Flöten und distonierenden Blechbläsern - weil die Komponisten bis ins 20. Jahrhundert auf Instrumente angewiesen waren, die mit der Klangqualität der heutigen nicht mithalten können. Das führte zur Vergötzung des musealen Klanges, den die traditionellen Orchester nicht bereit sind zu liefern, zumal sie unablässig gerade an der Perfektionierung der Schönheit arbeiten. Obendrein ersetzt bei den Originalklang-Ensembles nur allzu oft der faserige Sound die Interpretation. Ein Nikolaus Harnoncourt ist im Grund einer der wenigen Sonderfälle gewesen.

Für Norbert Täubl war das aber nur ein Grund unter vielen, enthusiastische Musikerkolleginnen und -kollegen zum Klangkollektiv Wien zusammenzurufen: "Was uns auszeichnet", sagt der Klarinettist der Wiener Philharmoniker, "ist die gemeinsame Überzeugung, dass es wichtig ist, was wir tun."

Diese Überzeugung ist so stark, dass alle vorerst einmal ohne Gage spielen. Die benötigte Finanzierung des Unternehmens wird durch Crowdfunding aufgestellt - im Bereich von Klassikkonzerten ein ziemliches Novum.

Aufbruchsstimmung

Im Moment herrscht jedenfalls Aufbruchsstimmung. Flötistin Karin Bonelli freut sich auf den Gedankenaustausch mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Orchestern. Fagottistin Sophie Dervaux begeistert sich für das Klangkollektiv, weil es ein Abenteuer ist, "ein neues Orchester zu gründen in einer Zeit, in der viele Orchester zusperren". Als "ganz bunten Haufen" sieht Geigerin Theresa Aigner das neue Orchester, aber: "Gerade das macht’s spannend."

"Und ob", möchte man sagen, denn das Zusammenschweißen von Musikern, die aus unterschiedlichen Orchestertraditionen kommen, ist eine gewaltige Aufgabe für einen Dirigenten. Als solcher konnte der Franzose Rémy Ballot gewonnen werden. Sein Mentor war Sergiu Celibidache, der Dirigenten stets nur förderte, wenn er von ihnen überzeugt war.

In den letzten Jahren hat Ballot mit eine Bruckner-Zyklus Aufsehen erregt, den er mit einem Jugendorchester einspielt. Unter seiner Leitung klingen die Musiker wie ein gestandenes Traditionsorchester. Somit hat sich Ballot wohl als berufener Orchestererzieher erwiesen - aber er ist obendrein ein Interpret, der an Phrasierungen, Dynamik und Tempodramaturgie besessen feilt. Er will, sagt er, mit dem Klangkollektiv Wien die Werke in ein neues und frisches Licht stellen - in eines, das nicht verzerrt, sondern die Konturen der Werke und ihre Schönheiten hervortreten lässt - und sie den Orchestern mit modernen Instrumenten zurückgibt.