Wien. Komponist Johannes Maria Staud beweist in diesem Herbst zweimal Wagemut: An diesem Sonntag eröffnet das Festival Wien Modern mit seinem neuen Orchesterwerk "Scattered Light", das ohne die helfenden Hände eines Dirigenten ertönt, die Staatsoper hebt im Dezember ein politisches Stück des Tirolers aus der Taufe. Ein Gespräch über engagierte Kunst, Mut zum Risiko und unsichere Zeiten.

Risikofreudig: Johannes Maria Staud vor der Uraufführung von "Scattered Light". - © Universal Edition/Irons
Risikofreudig: Johannes Maria Staud vor der Uraufführung von "Scattered Light". - © Universal Edition/Irons

"Wiener Zeitung":Ihre Oper "Die Weiden" soll ein Zeichen gegen Populismus, Wutbürgertum und Verrohung setzen. Wie politisch kann Kunst sein, ohne zu verflachen?

Johannes Maria Staud:Wir machen hier keine Tagespolitik, gründen keine Partei oder schielen nach Schlagzeilen. Mein Librettist Durs Grünbein und ich verhandeln politische Themen in einem künstlerischen Modell. Wir arbeiten mit Alltagserfahrungen, verfremden sie aber surreal. Ein Mädchen, dessen Eltern einst aus dem "Land am Strom" emigriert sind, verliebt sich in einen jungen Mann, der von eben dort kommt. Ihre Eltern warnen sie anfangs, dass dort wieder seltsame Dinge passieren, die Menschen sich wie einst in Karpfenwesen verwandeln. Beide reisen nun im Kanu stromabwärts. Wir sehen, wie sich eine Gesellschaft durch Hass von innen verändern kann, die Hemmschwelle der Menschen sinkt und die Grenze dessen, was man eben "noch sagen darf", sich ausweitet, bevor es zur Eskalation kommt. Mehr möchte ich noch nicht verraten.

Ist damit Österreich gemeint?

Durchaus. Man sieht diese Entwicklung aber schon fortgeschrittener in Ungarn, Italien und Polen. Als wir an dem Stück gearbeitet haben, merkten wir, wie uns die Realität überholt. Wir wollten etwas auf die Bühne bringen, das uns unter den Nägeln brennt. Dabei soll unsere Oper aber nicht nur heute funktionieren, sondern noch in 50 Jahren. Auch Verdis "Macbeth" und Puccinis "Tosca" kreisen um die Themen Politik und Korrumpierung durch Macht, um ethische Fragen. Angesichts der derzeitigen Entwicklungen kann ich mich jedenfalls nicht eskapistisch mit einem antiken Stoff beschäftigen. Der Hass, das Ressentiment, der Populismus sind in unsere Mitte vorgerückt, und das macht mir große Sorgen. Unsere Aufgabe ist, Salz in die Wunde zu streuen.

Besteht mit den "Weiden" nicht die Gefahr des Zeigefinger-Theaters?

Nein, so etwas interessiert mich nicht. Das politische Theater der 60er Jahre ist veraltet, dessen sind wir uns bewusst. Wir wollen einen Schritt weitergehen. Wir wissen, dass es keine leichten Antworten gibt. Die Frontlinien verlaufen nicht einfach entlang des Links-Rechts-Schemas. Und es geht auch um andere Probleme, um das Nicht-Zuhören, um soziale Verantwortung und den missbräuchlichen Einsatz neuer Technologien.