Rund 60 Jahre ist es her, dass eine frische Idee durch die Klassikbranche fegte. Warum einen Bach, Gluck, Mozart auf Instrumenten der Gegenwart spielen, wenn diese Musik älteren Klangkörpern auf den Leib geschrieben wurde? Damals eine Randerscheinung, ist die "Originalklangbewegung" zu einem Platzhirschen avanciert. Mit gutem Grund: Barockmusik, davor eher speckig gespielt von großen Orchestern, setzt bei solchen Spezialensembles drahtiges Eigenleben frei. Wobei: Je mehr Einfluss der "Originalklang" gewann, je mehr er sein Terrain erweiterte, desto mehr war auch etwas zu befürchten - dass den modernen Klassik-Instrumenten irgendwann kaum mehr Spielraum bleiben würde, ihre beträchtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.

Zum Glück ist das Kind aber bisher nicht mit dem Bad ausgeschüttet worden. Im Klassikbetrieb zeigen sich heute auch undogmatische Mischformen und werfen Früchte ab, etwa im Fall von Philippe Jordan: Der Chefdirigent der Wiener Symphoniker nimmt gerade einen beachtlichen Beethoven-Zyklus auf. Historisches Holz schwingt dabei nicht mit, aber eine gewisse Grundhaltung der Originaltöner: das Interesse an Wendigkeit und Intensität, an einer variablen "Klangrede".

Die kann man auch dem Hamburger Ensemble Resonanz attestieren. Das Kammerorchester schultert ebenfalls keine Geigen mit bärtigen Holzwürmern, beherzigt unter dem Dirigenten Riccardo Minasi aber Ideen der historischen Aufführungspraxis. Das jüngste Album ist schlicht famos: Was sich im schlimmsten Fall träge dahinwälzen könnte - Joseph Haydns "Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze" bestehen aus sieben langsamen Sätzen in Folge -, gerät zum einstündigen Hörvergnügen. Das liegt einerseits an der Delikatesse und Leichtfüßigkeit, die die Streicher und Holzbläser an den Tag legen. Zum anderen lässt Minasi keinen Takt ungestaltet vorbeiziehen. Der Italiener setzt nicht nur Haydns Klangfarben und Rhythmisierungskünste geschickt in Szene, er lässt diese Karfreitagsmusik zwischen allen Gemütszuständen pendeln: Trauer und Zorn artikulieren sich ebenso beredt wie Sehnsucht und Gottvertrauen.
Was passiert, wenn solche Gestaltungskräfte fehlen, zeigt das Album "Athanor". Es ist nach dem mittelalterlichen Ofen der Alchemisten benannt und hätte in einem solchen noch einige Reifezeit verbringen sollen: Das Tschechische National-Symphonieorchester gibt Notenmaterial von Franz Liszt streckenweise ungerührt wieder. Dafür glänzt die Pianistin: Mit stupender Technik und hinreißender Frische arbeitet sich die Schweizerin Beatrice Berrut durch die beiden Klavierkonzerte und den "Totentanz". Insofern ist auf weitere Alben (mit motivierterer Begleitung) zu hoffen.