Manche Komponisten sind Jahrzehnte lang kaum präsent, und dann, auf einmal und ohne erkennbaren Anlass, sind sie ganz stark da. Der Österreicher Joseph Marx ist das jüngste dieser Phänomene: Das Naxos-Label dürfte eine Gersamtaufnahme zumindest der Werke mit Orchester gestartet haben, und der CD-Klassikfachhandel staunt darüber, dass sich die herrliche Einspielung der "Herbstsymphonie" unter Johannes Wildner auf cpo einer nie geahnten Nachfrage erfreut.

Auf Naxos sind nun die Orchesterlieder von Marx erschienen, wunderbar gesungen von Angela Maria Blasi und Stella Doufexis und makellos begleitet von den Bochumer Symphonikern unter Steven Sloane.
Marx hat ein gewaltiges Lied-uvre von rund 150 Werken geschaffen, ehe er einen relativ überschaubaren Corpus an Kammer-, Chor- und Orchestermusik komponiert hat. Er gilt als Spätromantiker mit impressionistischen Einflüssen, und ein Kritiker, es könnte Hans Weigel gewesen sein, hat einmal boshaft angemerkt, Richard Strauss habe Joseph Marx überflüssig gemacht.

Auf ein erstes Hören trifft das zu - aber dann stellen sich Zweifel ein: Dieser träumerisch wogende Schönklang mit seinen Melodien, die im Ohr bleiben, sich aber dem Nachsummen verweigern, hat nur oberflächlich mit Strauss zu tun, der viel klarere Konturen bevorzugt und einen völlig anders, irgendwie härter leuchtenden Klang. Eher erinnert Marx an britische Komponisten wie Frederick Delius und Arnold Bax. Die Orchesterlieder jedenfalls bieten in ihrer Vielfältigkeit einen idealen Überblick über Marx’ Bandbreite der Empfindung - und wer sich für die Musik der Spätromantik interessiert, sollte den Zyklus "Verklärtes Jahr" kennen, einen der wenigen Orchesterliederzyklen, der neben Strauss’ "Vier letzten Liedern" bestehen kann.

Seltsam, dass die russische Musik erst bei Skrjabin und Rachmaninow Geschmack am Soloklavier als Instrument für die Sonaten-Architektur gefunden hat. Nur eine Ausnahme gibt es - und auch sie ist nur eine halbe: Mussorgskis genialer "Bilder einer Ausstellung"-Zyklus streift zwar den Charakter der Salonhaftigkeit ab, bleibt aber eine Folge von Miniaturen.
Der französischen Pianistin Roberte Mamou liegt es, in vermeintlich kleinen Stücken das Große aufzuspüren. Auf der CD "Russian Seasons" spielt sie vier Stücke von Anton Rubinstein, zwei von Glinka und den "Jahreszeiten"-Zyklus von Tschaikowski. Sie versteht es wunderbar, durch die hohe Kunst des differenzierten Anschlags diese Stücke plastisch erstehen zu lassen. Es sind Interpretationen, die den Zuhörer auffordern, gleichsam in den Klang hineinzuhorchen und ihn in all seiner Schönheit auszukosten. Ein Erlebnis!