"Ghostbusters 2", "Weißer Hai 3", "Rocky 4": Fortsetzungen haben nur selten das Zeug, das Original zu überflügeln. Das gilt nicht nur für Filme, sondern auch für andere Genres. 1831 hatte der Komponist Hector Berlioz "Lélio ou Le retour à la vie" abgeschlossen, nach Kino-Begriffen ein Sequel zu seiner "Symphonie fantastique". Historisch betrachtet, ein Schlag ins Wasser: Die "Fantastique" zählt bis heute zu den Platzhirschen im Konzertsaal, "Lélio" fristet dagegen ein Mauerblümchendasein. In den Plattengeschäften ist er rarer als ein Edelweiß in den Bergen. Immerhin: Die Wiener Symphoniker haben Berlioz zuletzt den Wunsch erfüllt, die beiden Stücke hintereinander aufzuführen, und das Ergebnis auf einer Doppel-CD veröffentlicht.

Berlioz Symphonie fantastique, Lélio (Wiener Symphoniker)
Berlioz Symphonie fantastique, Lélio (Wiener Symphoniker)

Viel Ähnlichkeit besitzen die Werke nicht. Die "Fantastique" hat sich Berlioz 1830 mit viel Liebeszorn im Bauch entstoßen. Das Kolorit ist grell, das Konzept bizarr. Der wortlosen Musik liegt ein Programm zugrunde, das mitgedacht werden soll: Diese Handlung erzählt vom Schmachten eines Künstlers nach seiner Angebeteten. Die aber zeigt sich kaltschultrig, und so träumt der Einsame im Opiumrausch von ihrer Ermordung, seiner Hinrichtung und einem gruseligen Wiedersehen bei einem Hexensabbat. Haarsträubend eigentlich. Doch Berlioz hat sich damals ein privates Liebesleid mit furiosem Jugendfeuer und kühnen Effekten von der Seele geschrieben. Das bescherte ihm nicht nur internationale Anerkennung, sondern auch Erfolg am Ausgangspunkt seiner Sehnsüchte, bei der Schauspielerin Harriet Smithson. Diese Liebe trug aber nur in der Fantasie Früchte: Die Ehe der beiden war bald am Ende, ganz ohne Schafott und Hexerei.

Noch vor dieser Enttäuschung wurde "Lélio" abgeschlossen: Wieder ringt darin ein künstlerisches Alter Ego mit Leid und Leidenschaft. Die Form aber ist grundverschieden. Berlioz öffnet seiner Literatur-Begeisterung hier weiten Raum: Ein Sprecher verliest Texte über Welt und Wille, Shakespeare und Goethe - oft in völliger Stille. Dazwischen setzt es einen Mix aus Musikstücken, bald kürzer, bald länger, bald mit Klavier, Orchester, Tenor-Solist oder Chor. Solch einen Hybrid hatte die Welt noch nicht gesehen. Allerdings: Es fehlt ihm an innerem Zusammenhalt. Darum wirkt der "Lélio", bei aller Kunstsinnigkeit, wie ein seltsamer Kessel Buntes.

Auf CD ergeben sich gewisse Vorteile: Der Hörer kann die musikalischen Rosinen direkt anspielen, ohne den ganzen Kuchen durchkauen zu müssen; Dirigent Philippe Jordan bürgt mit den Symphonikern für ein flaumiges Klangbild, hat im Wiener Singverein und Solisten wie Cyrille Dubois (Tenor) zudem kompetente Partner. Star des Doppelalbums ist dennoch die "Fantastique": Ihre zartfühlende und zornige Seite treten gleichermaßen zutage, durchdringen einander mitunter. Die Spannungsbögen wölben sich dabei schnittig, und zuweilen treten überraschende Nebenstimmen zutage - eine Leistung angesichts der Dauerpräsenz dieses Werks.