Sollte in der "Millionenshow" einmal die Frage auftauchen, was man unter einem Pianola versteht - sagen wir: a) einen Rotwein, b) einen Tango, c) ein Kondom oder d) einen Musikapparat -, dann wissen es zumindest die Leser dieser Kolumne: Das Pianola war nach 1900 der letzte Schrei auf dem Musikmarkt - ein Wunderkasten, der vor einem Klavier aufgestellt und mit Notenrollen gefüttert wurde. Seine Hebel sausten auf die Tasten herab und konnten ein Klanggestöber entfesseln, das die Möglichkeiten zweier Pianistenarme weit übertraf. Der Nachteil: Die Maschine (später direkt in Klaviere eingebaut) war kein Großmeister des Feingefühls, auch wenn ein "Pianolist" während des Betriebs über Tempo und Lautstärke wachte.

Die Tonsetzer vernarrten sich dennoch in diesen Robo-Musiker, darunter Darius Milhaud. Er brachte 1928 eine Ballettmusik für Orchester und Pianola an der Pariser Oper heraus. Der Erfolg war überschaubar. "La Bien-Aimée" ist in Vergessenheit geraten, während die andere Neuheit des Abends (ein gewisser "Bolero") Weltkarriere machte.

Dennoch ein Spaß, diese "Aimée" wiederzuhören. Der Pianolist Rex Lawson hat die Noten aufgestöbert und mit dem Dirigenten Enrique Mazzola und dem Orchestre national d’Ile-de-France eingespielt. Ein Kuriosum, nicht nur wegen der Besetzung. Die 30 Minuten sind ein Korso der Fröhlichkeiten, bestritten mit Melodien von Schubert und Liszt. Milhaud hat sie zu Tanznummern verarbeitet, die bald nach Ballsaal-Eleganz klingen, bald nach Karussellheiterkeit mit Hutschpferd-Grinsen: mitunter fast Karikaturen.
Die vorliegende CD bietet aber nicht nur Schabernack. Mazzola hat zudem Strawinskis "Feuervogel"-Suite (Fassung von 1945) eingespielt und verlässt sich nicht auf den Rums-Effekt, sondern lauscht orchestrale Farbmischungen aus: eine penible, dabei packende Einspielung.
Auch die niederländische Geigerin Merel Vercammen und die russische Pianistin Dina Ivanova fördern eine Ausgrabung zutage: Musik von Poldowski. Die schillernde Gestalt hinter diesem Künstlernamen würde sich einen ganzen Spielfilm verdienen- die belgisch-britische Musikerin Régine Wieniawski (1879-1932), einst beliebt bei Adel und Kunst-Aristokratie. Ihre d-Moll-Sonate besitzt diese Strahlkraft allerdings nicht, verströmt einen elegant-matten Abglanz französischer Romantik. Die Meistersonate von César Franck in A-Dur kommt hier aber auch zum Einsatz (neben Neuer Musik von Mathilde Wantenaar) und beschert dem Album ein Highlight: Vercammen und Ivanova beweisen im rechten Moment Sinn für Entschleunigung und delikate Tongebung, trumpfen vor allem mit einem Jugendfeuer auf, das Francks Sehnsuchtsmelodien lodern lässt: eine furiose Einspielung.