"Haben und nehmen wir uns genug Zeit, uns hinzusetzen und nachzusinnen, was für ein grandioses Leben wir haben?" Marlis Petersen schreibt dies im Booklet ihres neuen Albums. Die deutsche Sopranistin hat dem Getriebe der Hektomatikwelt den Kampf angesagt: "Dimensionen" heißt ihr dreiteiliges CD-Projekt, das sie vor zwei Jahren begonnen hat und jetzt abschließt. Nach den Alben "Welt" und "Anderswelt" legt der Klassik-Star nun zum Ausklang eine "Innenwelt" vor.

Widmet sich der Innenwelt: Marlis Petersen. - © Yiorgos Mavropoulos
Widmet sich der Innenwelt: Marlis Petersen. - © Yiorgos Mavropoulos

Was sich auf den ersten Blick wie die Kapitelabfolge eines Fantasy-Romans liest, erweist sich im besten Sinne als alltagsfremd: Die Alben wollen Handreichungen zur Entrückung sein, sollen der Seele eine Verschnaufpause vom Schnellfeuer des Medienzeitalters gönnen. Ein romantisches Projekt, das dann auch mit dem entsprechenden Liedgut aufwartet. Stücke von Franz Liszt, Richard Strauss und Johannes Brahms entführen in eine träumerische "Innenwelt", in der das Wollen erlischt und die Nachtigall und der bunte Vogel Fantasie ein Heimatrecht besitzen.

Marlis Petersen, Stephan Matthias Lademann Dimensionen - Innenwelt (Solo Musica)
Marlis Petersen, Stephan Matthias Lademann Dimensionen - Innenwelt (Solo Musica)

Das könnte kitschig geraten, wäre Petersen (am heutigen Dienstag übrigens live beim Herbstgold-Festival in Eisenstadt) nicht eine Gestalterin von hohen Gnaden. Ihre Legatophrasen besitzen gläsernen Glanz, ihre Melodiebögen Innenspannung und Prägnanz, ohne es an Schönklang fehlen zu lassen. Petersen öffnet der Fantasie nicht zuletzt dadurch die Schleusen, dass sie ihre Stimmgebung penibel zu kontrollieren weiß. Dabei scheint die Musik, begleitet von Pianist Stephan Matthias Lademann, ungezwungen dahinzuströmen und auf diesem Album in Summe eine große Einheit zu bilden: Die 23 Lieder sind in Thema und Tonart minutiös aufeinander abgestimmt. Dabei beglücken nicht zuletzt Raritäten aus der Feder von Hans Sommer, Karl Weigl und Gabriel Fauré.

Apropos Gabriel Fauré: Dessen Klavierwerk ist auf vier CDs eingespielt worden. Fragt sich freilich: Wer war der Mann? Dem klangvollen Namen steht ein dürftiges Wissen um die Person gegenüber. Ein Grund dafür ist, dass Fauré (1845-1924) keine Orchester-Kracher geschrieben hat: Hauptberuflich Organist und Konservatoriums-Professor, glänzte er eher in der kleinen Form. Dabei ist seiner Musik ein gedämpfter Ton zu eigen, der ihm auch als Person nachgesagt wurde.

Dennoch sind diese Werke nicht um Leidenschaft verlegen, und sie besitzen einen eigenen Stil. Faurés späte Klaviermusik spricht zwar hier und da mit dem Gestus Frédéric Chopins, drängt aber eigensinnig über die Grenzen der Tonarten hinaus. Das führt à la longue aber nicht zu einer Sprengung der Tonalität. Stattdessen hat Fauré sein Grenzgängertum vervollkommnet: Die letzten Stücke des ertaubenden Franzosen vereinen eine singende Melodik mit frappanten Harmonieverläufen, erinnern hier und da ein wenig an den Zeitgenossen Claude Debussy (und sein Ganzton-Faible), wirken dabei aber nie epigonal.

Der französische Pianist Jean-Claude Pennetier hat diese Nocturnes, Barcarolles und Impromptus eingespielt und damit - Chapeau! - eine ähnlich hübsche Entrückungsanleitung vorgelegt wie Marlis Petersen.