Seltsam, aber: Der Titel dieses Albums ist wirklich "Free America!" ("Befreit Amerika!"). Woher das kommt? Der Slogan stammt nicht vom amtierenden US-Präsidenten Donald Trump, und auch nicht von dessen demokratischen Widersachern. Es ist ein Lied aus lang verblichenen Tagen, nämlich aus der Zeit des Unabhängigkeitskriegs (1775-1783). Um den britischen Kolonialherren zu besiegen, waren nicht nur Waffen vonnöten, sondern auch eine Kampfmoral und eine patriotische Gesinnung - ein Wir-Gefühl, dem damals und in den ersten unabhängigen Tagen viele Lieder auf die Sprünge halfen. Nicht nur Beethoven wusste: Kaum etwas macht Menschen so sehr zu Brüdern wie ein klangvoller Chor.

Wie dieses Amerika klang, ist auf einer neuen CD zu erahnen: Die Boston Camerata hat beliebte Musik der Epoche ausgegraben und mit historischen Instrumenten eingespielt. Die Lieder und Tänze bieten Patriotismus für jede Lebenslage: Bald rufen Geige und Flöte zum Tanz oder Marschieren, bald tritt ein Männerchor grimmig gegen Tyrannei auf, bald entschweben Stimmen in spirituelle Gefilde. Freiheit und Selbstbestimmung sind das Credo dieser Gesänge - beispiellose Forderungen in einer Zeit, als jenseits des Atlantiks noch die Monarchen im Sattel saßen.

Ganz neu war in den Übersee-Staaten allerdings nicht alles. Das Liedgut kündet auch davon, dass die Auswanderer manches mitgenommen haben: In einigen Nummern vermischt sich der neue Patriotismus mit einem vertrauten Gotteslob. Und: Manches Stück klingt wie eine gefidelte Fassung von höfischer Musik. Als hätte man das Schloss gegen den Saloon getauscht. Richtig skurril wird es, wenn ein Chor "Rise, Columbia!" fordert und dazu die Hymne des Erzfeindes anstimmt, nämlich "Rule, Britannia!". Die amerikanischen Siedler erbauten ihre Zukunftsvisionen auch auf Versatzstücken ihrer Vergangenheit.
Die Boston Camerata, geleitet vom französischen Mezzo Anne Azéma, hat all dies in schlanken Besetzungen aufgenommen: Opulente Klänge stellen sich dabei nicht ein, wohl aber Momente der Erbauung dank sicheren Sangesstimmen und erdigen Ohrwürmern.
Ein süffiger Sound ist wiederum das Markenzeichen von Johannes Brahms. Sein "Deutsches Requiem" liegt in einer neuen Einspielung vor: Der Brite Daniel Harding hat es mit dem Swedish Radio Symphony Orchestra und dessen famosen Chor sowie zwei namhaften Solisten aufgenommen: Matthias Goerne glänzt mit seinem gewohnten, gaumigen Schönklang, Christiane Karg mit einer blitzsauberen Intonation. Dennoch ist es keine Referenzaufnahme ist geworden: Herbert von Karajan hat diesem Kolossalwerk ein Höchstmaß an Transzendenz verliehen, Nikolaus Harnoncourt eine Aura der Allmacht.
Harding legt die knapp 80 Minuten zügig an, rundet das Klangbild mitunter kulinarisch: Der Sound wirkt streckenweise aquarelliert; Passagen wie "Denn alles Fleisch, es ist wie Gras" fehlt es an jenseitiger Schauerwirkung. Gleichwohl erweist sich Harding als fähiger Architekt für die Wuchtfugen: Sie machen einen so klangtrunken, dass man zuletzt siegessicher miteinstimmen will: "Tod, wo ist dein Stachel?"