Der Taktstock der Uraufführung ist natürlich längst vermodert. Ansonsten hat François-Xavier Roth, der französische Star der Originalklang-Bewegung, aber so ziemlich alles herangekarrt für eine möglichst authentische Aufnahme der "Symphonie fantastique". Nicht nur, dass das Orchester auf Instrumenten der Uraufführungszeit spielt - so gehen der 48-Jährige und sein Ensemble Les siècles bei jedem Projekte vor. Im Schlusssatz dieser "Fantastique" ertönen angeblich auch noch Glocken aus La Cote-Saint-André, einem Städtchen, in dem sich Berlioz seinerzeit gern aufgehalten hat.

Dieser Aufwand hilft natürlich bei der Pressearbeit: Die Geschichte von den Spezial-Glocken hat sich herumgesprochen, noch bevor die CD in der Redaktionsstube eingetrudelt ist. Roths Detailfreudigkeit erschöpft sich aber nicht im PR-Effekt. Die historischen Instrumente verschieben die Farbpalette und erzeugen ein streckenweise ungewohntes Bild von Berlioz’ Jugendgeniestreich - noch nervöser, greller, fahriger.

Hector Berlioz Symphonie fantastique (harmonia mundi)
Hector Berlioz Symphonie fantastique (harmonia mundi)

Das liegt natürlich auch an Roths Zugang. Schon im Kopfsatz, der "Träumerei", legt er auf straffe Tempi wert und bleibt dieser Gangart bis zum Schluss treu.
Das eigentliche Kunststück besteht aber nicht darin, sondern in etwas anderem: Der Franzose versteht es, Motive so plastisch zu formen und zu bewegen, dass man fast von einer choreografischen Leistung sprechen will. Diese Aufnahme beschert ein Höchstmaß an Dynamik - serviert im Rahmen eines kristallinen Klangbildes.

Wiener Philharmoniker The Peace Concert (Deutsche Grammophon)
Wiener Philharmoniker The Peace Concert (Deutsche Grammophon)

Letzteres verdankt sich natürlich auch den historischen Streichern: Weniger mollig anzuhören als ihre zeitgenössischen Verwandten, erlauben sie mitunter überraschende Einblicke in das Stimmengeflecht. Der drahtige Sound verleiht raschen Notenketten zudem etwas Manisch-Wetzendes und dem Klangbild insgesamt etwas überraschend Neues - oder besser gesagt Altes. Die beiden Schlusssätze donnern zwar nicht so wuchtig dahin, wie man es von Referenzaufnahmen gewohnt ist, entfalten aber ein Fluidum flirrender Farben.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Ein bezauberndes Kolorit hat auch die neue CD der Wiener Philharmoniker zu bieten, aufgenommen im Vorjahr im Schloss Versailles: 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hat das heimische Prestigeorchester unter Franz Welser-Möst ein "Friedenskonzert" im historischen Rahmen abgehalten. Dabei gibt die Programmwahl zwar Rätsel auf: Was Claude Debussys Nocturne "Sirènes" mit dem Kriegsthema zu tun hat, ist ebenso schleierhaft wie der Einsatz von Mozarts "Zauberflöten"-Ouvertüre und Charles Ives’ "The Unanswered Question" am Schluss. Gleichwohl: Die französischen Stücke schillern auf diesem Album in einer Schönheit, die an den delikaten Farbenzauber einer Seifenblase erinnert: Debussys "Sirènes" begeistern ebenso mit dieser Sinnlichkeit wie Maurice Ravels Klavierkonzert für die linke Hand (mit Yuja Wang als Solistin).

Mit Holsts "Mars, the Bringer of War" und Wagners Trauermarsch aus der "Götterdämmerung" kosten die Philharmoniker zudem zwei Reißer subtil aus - ein Programm, das jedenfalls eine klangschöne Brücke baut zwischen Raritäten und Klassik-Hits.