Manche CDs treffen den Zuhörer so sehr ins Herz, dass er sie beim ersten Mal nicht komplett durchzuhören vermag und auch später noch die Faust in der Magengrube spürt. So ist es mir mit der Schubert-CD von Dina Ugorskaja ergangen.
Es ist unmöglich, beim Anhören dieser CD den Tod der Pianistin im Alter von nur 46 Jahren auszublenden. Angst, Hoffnung, Traurigkeit - gewinnt ein Musiker daraus tiefere Einsichten, die er kraft seiner Interpretation dem Zuhörer mitteilen kann?
Dina Ugorskaja, gebürtige Russin, Tochter des Pianisten Anatol Ugorski, wie er wegen antisemitischer Anfeindungen 1990 aus Russland geflohen, Professorin für Klavier an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, hat freilich nicht erst mit Beginn der Erkrankung emotionale Extrembereiche aufgespürt. Immer wollte sie tiefer in die Musik eindringen, sie als ein existenzielles Ringen verstehen. Dass dies ein weiblicher Zugang sei, hat Dina Ugorskaja stets von sich gewiesen: "Musik ist über das Geschlecht erhaben", sagte sie, denn: "Menschliche Gefühle sind reicher, als dass man sie einem Geschlecht zuordnen könnte."

Auf ihrer letzten CD interpretiert Dina Ugorskaja Werke von Franz Schubert aus seiner letzten Schaffenszeit: B-Dur-Sonate
(D 960), Drei Klavierstücke
(D 946) und Moments Musicaux (D 780). Die Interpretationen - Achterbahnfahrten der Emotionalität: Hier lässt Dina Ugorskaja die Gegensätze unvermittelt aufeinanderkrachen, dort vermittelt sie mit Übergängen, wie sie noch kein Pianist vor ihr sanfter erspielt hat. Sehnsucht und Raserei begegnen einander in diesen Interpretationen. Trauer wird durch Humor und stille Gelassenheit in Trost verwandelt.

Am 17. September ist Dina Ugorskaja in München gestorben. Diese Aufnahmen sind ein beklemmendes, beglückendes Vermächtnis, dem man sich hörend stellen muss!
Rémy Ballot und das Klangkollektiv Wien legen, nach ihrer so erfolgreichen Einlassung mit Schubert, nun Ludwig van Beethovens Dritte Sinfonie "Eroica" und die Egmont-Ouvertüre vor - und sorgen abermals für eine Sternstunde. Ballot gelingt die Quadratur des Kreises: Er verschmilzt sein Wissen um die Alte Musik mit dem virtuosen Können seiner Musiker, die auf modernen Instrumenten spielen, bleibt bei dem historisch informierten Zugang aber nicht stehen, sondern versucht, die Nervenstränge dieser Musik bloßzulegen.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.
Dabei geschieht etwas Wunderbares: Denn Ballot beschränkt sich auf die verhältnismäßig kleinen Uraufführungs-Besetzungen. Aber indem er dadurch alle rein klanglichen Romantizismen verbannt, erreicht er eine Genauigkeit des Klanges und einen frenetischen Gefühlssturm, dass gerade sein Beethoven letzten Endes eben doch weit die Tore in die Romantik und mit seinen besessenen Rhythmen sogar ins 20. Jahrhundert aufstößt. So präzise und so modern hat Beethoven kaum je geklungen. Dass die Klangschönheit dabei nicht auf der Strecke bleibt, dafür garantieren die Musiker des Klangkollektivs, allesamt Spitzeninstrumentalisten aus Wiener Orchestern. Eine begeisternde, geradezu beglückende CD!