Es ist nicht leicht, ein Meisterwerk zu schaffen. Vor allem dann nicht, wenn unbedingt eines her muss. Da wird einem die Hand schnell schwer unter dem Druck. Das gilt nicht nur für Musik, sondern auch fürs Kino - wie für die neunte Episode von "Star Wars". Eben angelaufen, will sie der Saga einen würdigen Schlussstein setzen - und dabei die Fangemeinde nicht verprellen. Die giert zwar immer nach Fortsetzungen, aber tunlichst ohne neue Inhalte. Es ist kein Wunder, dass Regisseur J.J. Abrams in diesem Korsett der Sehnsüchte kein Meisterstück gelang: Seine "Neunte" variiert vor allem alte Motive der Reihe.

Anders die Geburt einer orchestralen Neunten - jener von Ludwig van Beethoven. Unbehelligt von sozialen Medien und Risikokalkül brach der Querkopf 1824 mit einer Formel: Das Chorfinale seiner Symphonie sprengte den bisher wortlosen Rahmen des Genres. Das brachte ihm zwar auch Schmähungen ein ("ein Unding"). Heute thront das Werk aber felsenfest auf dem Pantheon der Klassik: Wer den Viersätzer mit dem humanistischen Tonfall anstimmt (wie die Symphoniker stets zum Jahreswechsel), kann sich des Jubels und der Erbauung sicher sein.

Wiener Symphoniker Beethoven, 9. Symphonie (Wiener Symphoniker)
Wiener Symphoniker Beethoven, 9. Symphonie (Wiener Symphoniker)

Und doch gibt’s da heute ein Problem für Musiker - und zwar auf dem CD-Markt. Aufnahmen der Neunten liegen nämlich sonder Zahl vor. Wer da noch eine beisteuern will, sollte also eine eigene Lesart finden- auch wenn er damit vielleicht manche Hörgewohnheit verletzt.

Knapp vor dem Beethoven-Jahr 2020 sind nun zweimal alle Neune erschienen: Sowohl die Wiener Philharmoniker als auch die Symphoniker der Stadt haben das Gesamtwerk eingespielt, die krönende Chor-Symphonie ist in beiden Fällen separat erhältlich. Allein ein Blick auf diese Einzel-CD lehrt, dass die Ansätze kaum unterschiedlicher sein könnten: Andris Nelsons, 2020 Dirigent des Wiener Neujahrskonzerts, schwelgt mit den Philharmonikern nur so im Schönklang der Neunten - liefert damit aber nicht wirklich einen Kaufgrund. Zwar wickelt er den Schlusssatz repräsentativ ab; davor verliert sich diese gemächliche Neunte aber immer wieder in pastosem Pathos.

Wiener Philharmoniker Beethoven, 9. Symphonie (DG)
Wiener Philharmoniker Beethoven, 9. Symphonie (DG)

Philippe Jordan dagegen - originalklanggeschult, doch in der Klassik daheim - hält die Symphoniker zu einer drahtigen Dynamik und hohen Metronomwerten an. Damit ist er nicht nur deutlich früher fertig. Er verleiht dem Werk wesentlich mehr Innenspannung und Intensität. Der Kopfsatz scheint phasenweise zu swingen, das Scherzo vermengt eine säuselnde Lyrik mit zünftigen Pauken, und inmitten des straffen Finales leuchtet das Firmament mit aller gebotenen Klangherrlichkeit. Mag das Adagio auch etwas stressgeplagt wirken - diese Lesart war das Opfer wert.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.