Während Partituren heute meist nach der Uraufführung in der Schublade verschwinden, gehen seine um die Welt: Thomas Adès, 1971 in London geboren, gilt seit dem Welterfolg seiner Oper "Powder Her Face" (1995) als Hoffnungsträger auf dem verkaufsschwachen Markt moderner Tonkunst. Nun bricht sein neues Klavierkonzert "alle Rekorde", jubelt der Verlag Faber Music: Im Vorjahr uraufgeführt, erklingt das Stück bis Februar 2022 ganze 50 Mal, von Cleveland über New York bis nach Brüssel und Wien.

Thomas Adès Adès conducts Adès (DG)
Thomas Adès Adès conducts Adès (DG)

Das nimmt nicht wunder, lauscht man der Aufnahme: Adès, auf dem Album auch als Dirigent des Boston Symphony Orchestra tätig, beweist als Notensetzer abermals Effektsinn, ohne im Kitsch zu landen. Stimmt zwar: Hartgesottene Avantgardisten werden trotzdem die Nase rümpfen. Denn diese Musik ist nicht in ihrem Sinne "heutig", also völlig atonal. Bisweilen taucht ein Dur- oder Mollakkord auf, überhaupt dockt Adès gern an Vorbilder an. An Belá Bartók etwa, der schon rund um 1930 ein Faible für schroffe Akkordrückungen hatte. Und vor allem an Maurice Ravel. Dessen G-Dur-Klavierkonzert von 1931 verdankt der Engländer einiges. Der flirrend jazzige Beginn von Adès’ Schlussatz, die abfallende Klavierkaskade am Ende: Es grenzt an eine Hommage.

Sharon Kam, RSO Wien Weber, Kurpinski, Crusell (Orfeo)
Sharon Kam, RSO Wien Weber, Kurpinski, Crusell (Orfeo)

Ohrwürmer bietet der Brite dabei zwar nicht, und er fordert das Ohr mit dichten Klangbildern. Das macht aber nichts. Denn dieses Klavierkonzert ist Actionkino für die Ohren - bunt, schnell und voll von atemberaubenden Effekten. Zudem: Es hat in Kirill Gerstein einen fantastischen Interpreten und dauert nur schlanke 21 Minuten. Dermaßen gut unterhalten, lauscht man dann auch in den schweren Brocken des Albums hinein: Adès’ "Totentanz" für Orchester, Mezzo und Bariton, mit deutschen Texten aus dem 15., pesterfahrenen Jahrhundert. Starker Tobak, düster und druckvoll vertont.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Freundlichere Töne stimmt das RSO Wien an. Das ORF-Orchester eskortiert die Holzbläserin Sharon Kam durch drei Klarinettenkonzerte der Frühromantik. So recht nach 19. Jahrhundert klingt diese Musik allerdings noch nicht, eher nach einem Echo der Wiener Klassik. Ein lieblicher Tonfall durchweht das Album, mitunter auch ein etwas beliebiger - vor allem bei der Würdigung des Polen Karol Kurpinski. Der Kopfsatz seines Klarinettenkonzerts säuselt so unauffällig dahin, dass sich der Schmerz über den Verlust des weiteren Notenmaterials in Grenzen hält. Carl Maria von Webers Zweites Klarinettenkonzert ist da deutlich markanter, vor allem der Mittelsatz mit dem dunkelromantischen Kolorit: Die kantable Melodie mit den Streicherschwaden darunter könnte auch Opernfreunde begeistern. Und dann ist da noch das Klarinettenkonzert eines Skandinaviers namens Bernhard Henrik Crusell. Man muss es wohl nicht unbedingt gehört haben, um sich eines erfüllten Lebens zu rühmen. Doch der Genuss der zwitschernden Töne hebt die Stimmung beträchtlich. Begleitet von Ehemann Gregor Bühl am Dirigentenpult, arbeitet sich Sharon Kam bravourös durch dieses Raritätenkabinett - mit lebhafter, sprechender Phrasierung, einem Sinn für sensible Details und hier und da Lust an kernigen Klängen.