Wer war der Brite Edward Elgar? Stünden in einer Straßen-Umfrage drei Antwortmöglichkeiten zur Wahl - sagen wir a) Musiker, b) König oder c) ein Daten-Systementwickler - , wäre das Ergebnis unwägbar. Dabei hat der Engländer (1857-1934) etwas fast so Weltbekanntes erfunden wie das McDonalds-Logo, nämlich den Orchester-Evergreen "Pomp & Circumstance March No. 1". Wer bei dem Titel auf der Leitung steht: Es ist die englischste aller Melodien, gleich nach "God Save the Queen" und "Rule, Britannia!", und sie wurde schon durch ihren Einsatz bei der Krönung von Edward VII. gewissermaßen nobilitiert. Ein Ohrwurm mit sanftem Beginn und einer erhabenen, süffigen Prachtentfaltung. England!

Elgar Sea Pictures, Falstaff (Decca)
Elgar Sea Pictures, Falstaff (Decca)

Wie so oft, hat ein Welthit auch hier seinem Autor einen zwiespältigen Dienst erwiesen: Elgar, 1931 in den Adelsstand erhoben, galt als der "imperiale" Tonsetzer - damit aber auch allmählich als altmodisch. Spätestens in den 1920er Jahren sank sein Stern.

Dirigent Daniel Barenboim versucht, diese Glorie wieder aufzupolieren: Seit 2011 nimmt er mit der Staatskapelle Berlin Hauptwerke des Briten auf, dieser Tage legt er eine weitere Scheibe vor. Die schöne Überraschung dabei: Elgars "Sea Pictures". Die fünf Lieder für Orchester und Gesang riechen nicht nach geschrubbten Böden in Buckingham Palace, sondern nach frischer Salzluft: Der maritime Szenenreigen führt vom nächtlichen Wellenschaukeln über ein Liebesidyll im Hafen bis zum Bild der sturmgepeitschten See: Klanggemälde, die die Grazie und Gewalt des Meeres plastisch vor Augen führen und mitunter sogar an die Naturschilderungen Claude Debussys erinnern.

Schumann Symphonies 1&4 (myrios classics)
Schumann Symphonies 1&4 (myrios classics)

Barenboim schwelgt in den satten Farben und umflutet damit gekonnt die Luxus-Stimme von Elina Garanča (an diesem Freitag und Samstag übrigens bei den Salzburger Festspielen zu Gast). Ihr Opernmezzo verleiht Elgars gefälligen Melodiebögen eine durchglühte Spannung und vor allem dem Schussgesang - der Erinnerung an einen linden Strandtag mitten in einem Sturm - elementare Wucht.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Die unerfreuliche Überraschung der CD ist "Falstaff". Nein, das ist keine Oper von Edward Elgar, sondern sein Versuch einer Antwort auf Richard Strauss’ Symphonische Dichtung "Don Quixote". Leider: Würde dieser "Falstaff" in einem Turnier gegen sein Vorbild antreten, wäre Elgars dicker Ritter rasch aus dem Rennen. Verglichen mit der Farbenfülle von Strauss’ "Quixote" sieht der englische Tondichtungsheld eher blass aus.

François-Xavier Roth, Liebkind des deutschen Feuilletons, gelingt dafür eine famose Einspielung der Ersten und Vierten Schumann-Symphonie (Letztere in der grazilen Erstfassung). Unter der Leitung des Franzosen besticht das Gürzenich-Orchester Köln durch eine fluffige und zugleich prägnante Gangart: Das Klangbild, luftig geschichtet, begeistert durch Transparenz, das Ensemble durch Leidenschaft, distinkte Akzente und zügige, flüssige Tempi. Hinreißend allein, wie die Glitzerflöte gegen Ende der "Frühlingssymphonie" ihre Solo-Triller tänzeln lässt und dann geschmeidig ins Tempo des Orchestergesangs zurückfindet: eine Aufnahme, die ohne jeden Bombast entzückt.