Man muss nicht "Asterix redt Wienerisch" gelesen haben, um der Meinung zu sein: Dialektfassungen sind eine Hetz und ein Gfrett zugleich. Eine Hetz, weil Welterfolge in Grätzelsprache einfach ulkig klingen. Ein Gfrett, weil diese Bücher oft mit sehr groben Wuchteln arbeiten und die Feinheiten der Vorlage mit Füßen treten.

Roland Neuwirth geht nicht in diese Gossen-Falle. Eigentlich längst in Künstlerpension, hat der 70-Jährige Schuberts "Winterreise" in ein Wiener Sprachkleid gehüllt und mit dem Pianisten Florian Krumpöck eingespielt. Das ehemalige Sprachrohr der Extremschrammeln verfolgt dabei einen Zickzackkurs: Mal macht er einen Bogen um Wilhelm Müllers Gedichtvorlagen, um die lebensmüden Lieder mit neuen dunkelgrauen Worten zu versehen. Mal folgt er aber auch dem Pfad des Originals und färbt die Zeilen nur Wienerisch ein: "Ois Fremda bin i kumman / fremd muss i wieda furd / hob glaubt der schene Summa / da bleib i ewig durt", heißt es zu Beginn. Auch der Grund für den erwähnten Fortgang und Weltschmerz klingt gleich an: "Und sie sagt no, sie wü mi / mei Frau wollt’s werdn goa / jetzt geh i und verküh mi / der Schnee fliegt mia in’d Hoa."

Franz Schubert / Roland Neuwirth Winterreise
Franz Schubert / Roland Neuwirth Winterreise

Die Todessehnsucht treibt den Wanderer hier nicht nur durch den Wald, sondern auch durch Betonwüsten der Gegenwart: Der vielbesungene "Brunnen" liegt jetzt "nebn da Einfoat" statt vor dem "Tore", das Posthorn mutiert zum Handy, und das Irrlicht leuchtet als "Neonlicht da Stroßnschluchtn". Diese Beigaben irritieren nicht, weil sie sich stimmig in den Tonfall der "Winterreise" fügen. Nur das Lied von der "Wasserfluth" sticht heraus: Neuwirth hat es in ein Empathie-Plädoyer für die Mittelmeer-Flüchtlinge verwandelt. Damit setzt er ein löbliches Zeichen, den Ich-Erzählungen der "Winterreise" aber auch einen proklamatorischen Fremdkörper auf. Besser fügt sich die politische Note ins Finale ein: Der Leiermann erscheint als "Immigrant, der auf seiner Quetschn fremde Liada want" - und den Wanderer vielleicht in seine Heimat nimmt.

Khatia Buniatishvili Labyrinth
Khatia Buniatishvili Labyrinth

Wie das aus Neuwirths Mund klingt? Schubert hat seine Trauergesänge so schnörkellos gestaltet, dass eine klassische Schulung nicht unbedingt nottut. Das hat schon Nataša Mirković-De Ro auf ihrer CD (Raumklang, 2013) bewiesen und wird von Neuwirth, meist elegant zwischen Sprechgesang und Chanson-Ton pendelnd, bekräftigt. Seine Neigung zum Understatement gleicht Krumpöck mit düster brütenden, aufwühlenden, auch wütenden Klavierklängen aus. Kurz: eine unverhoffte, aber gefühlsechte "Winterreise".

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Nicht so wortmächtig ist Khatia Buniatishvili. Muss sie auch nicht sein - die Frau ist schließlich Pianistin. Im Booklet ihres jüngsten Albums hat sie allerdings ein Experiment gewagt und sich zu jedem Klavierstück ein paar vage, wolkige Worte abgerungen, in Summe bilden sie eine rätselhafte Erzählung. Man muss das nicht mögen, um Buniatishvilis Spiel zu schätzen. Die Georgierin, live als Tastenlöwin bekannt, arbeitet sich durch eine eher leise Playlist vom Barock bis in die Gegenwart und gestaltet Seelentröster wie Brahms’ Intermezzo op. 118/2 und Liszts Consolation Nr. 3 so schwelgerisch wie klangschön.