Wer will, könnte in Bälde ein eigenartiges Jubiläum feiern - die Erinnerung an ein Gedenken. Der Anlass: Vor fast 200 Jahre wurde Johann Sebastian Bach dem Vergessen entrissen. Felix Mendelssohn Bartholdy hat den Fugenmeister damals, 1829, mit einer Aufführung der "Matthäuspassion" wieder ins Gespräch gebracht. Eine kühne Aktion in Zeiten, als Musik von vorgestern an sich keinen Hund hinter dem Ofen hervorlockte. Doch die Bach-Renaissance sollte sich als Großtat erweisen, auch für die folgenden Komponisten. Die schulten sich nicht nur am Kontrapunkt des Thomaskantors, sondern "borgten" sich auch gern ein wenig Musik. Etwa Charles Gounod: Der setzte Bachs C-Dur-Präludium ein hübsches Melodiehäubchen auf - schon gab es sein "Ave Maria", das bis heute durch die Hochzeitskirchen hallt. Wie kaum ein anderer hat der "alte Bach" im Laufe der Zeit über die Klassikgrenzen hinausgewirkt: Der Jazzpianist Jacques Loussier etwa feierte die Eleganz seiner Polyphonie geschliffen; die deutsche Gruppe Son Of A Bach wiederum verfährt deutlich greller - und komischer: Die Herren mit E-Gitarre, Schlagzeug, Livree und Perücken verfrachten Barockrhythmen augenzwinkernd ins Hardrock-Fach.

Geschmeidiger gehen nun die beiden Stilwandler Thomas Enhco und Vassilena Serafimova ihre Hommage an. Der französische Pianist und die bulgarische Marimba-Spielerin legen auf "Bach Mirror" kurz gesagt Kammermusik mit Jazztendenzen vor. Auch sie packen Bach bei dessen pulsierenden Rhythmen, verleihen dem Klangbild aber einen ebenmäßigen, atmosphärischen Teint. Die Marimba klöppelt gerne dunkel-lockende Notenketten, der Klavierklang schwebt oft in hoher, glitzernder Lage herein.

Stimmt zwar: So manches Original wird dabei in eine ungewohnt vertrackte Taktart bugsiert, und ab und zu setzt es ein Jazz-Solo. Doch die Eingriffe in Bachs Meisterwerke erweisen sich weitgehend als so minimal-invasiv, dass sich auch puristische Klassik-Fans für dieses Album erwärmen könnten.

Thomas Enhco, Vassilena Serafimova Bach Mirror (Sony Classical)
Thomas Enhco, Vassilena Serafimova Bach Mirror (Sony Classical)

Apropos Adaptionen. Das ist auch eine Domäne von Albrecht Mayer, dem Ober-Oboisten der Gegenwart. Doch wer Ohrwürmer auf diesem Instrument spielen will, der muss pfiffig sein: Die Klassik hat die Oboe mit nur wenigen Reißern bedacht. Und sind die abgegrast (wie Mozarts KV 314), steigt die Lust am "Ausborgen". Mayers Mozart-Album bietet anfangs allerdings weit mehr als schlichtes Recycling: Der Schweizer Komponist Gotthard Odermatt hat das Oboenkonzert-Fragment KV 293 zu einem vollständigen Satz ausgesponnen und damit eine überzeugende Stilkopie geliefert.

Berückender Mozart-"Sänger": Albrecht Meyer. - © DG/Universal
Berückender Mozart-"Sänger": Albrecht Meyer. - © DG/Universal

Was folgt, sind freilich Entlehnungen: Mayer kapert in seiner Mozartliebe das Konzert für Flöte und Harfe (mit einem Cembalisten als Kompagnon) und "singt" sich durch etliche Arien. Natürlich lässt sich da anmerken: Der deutsche Star-Oboist könnte ebenso gut die (unpopulären) Ränder seines Repertoires erkunden, statt auf fremdem Terrain zu wildern. Doch so schalmeiensüß, wie Mayer seine Legatobögen wölbt, so flaumig, wie ihn die Kammerphilharmonie Bremen begleitet, erweist sich diese musikalische Landnahme als Ohrenschmaus.

Albrecht Mayer Mozart (DG)
Albrecht Mayer Mozart (DG)
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.