Wer, bitteschön ist Walter Kaufmann?
Etwas Derartiges kommt ja wirklich nicht alle Tage vor: CDs mit Musik unbekannter oder halb-bekannter Komponisten stapeln sich auf dem Schreibtisch. Das hört man in der Regel kursorisch durch. Das vergessene oder übersehene Genie ist kaum ein einziges Mal die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Und jetzt also Walter Kaufmann - und, ja: ein Unbekannter; und ja: ein Könner von höchsten Graden.

Wie so einer verschwinden kann? - Es hängt mit den Verbrechen der Nationalsozialisten und dem Pech zusammen, auch geografisch an der Peripherie der westlichen Musikkultur gelebt und gearbeitet zu haben.
Kaufmann wurde am 1. April 1907 in Karlsbad, damals auf dem Gebiet der k.u.k. Monarchie, geboren. Er studierte in Berlin Komposition bei Franz Schreker, Musikwissenschaft bei Curt Sachs und assistierte dem Dirigenten Bruno Walter. Als Jude musste Kaufmann vor den Nationalsozialisten flüchten. Er ging aufgrund seines Interesses an indischer Musik nach Mumbai, wo er beim staatlichen Rundfunksender All India Radio arbeitete und dessen Erkennungsmelodie komponierte, die Jahre später Eingang in Carla Bleys "Escalator over the Hill" fand. Er schrieb Musik für Bollywood-Filme und gründete die Kammermusikgruppe Bombay Chamber Society, in der der Vater des Dirigenten Zubin Mehta Geige spielte.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.
Nach 1945 ging er zuerst nach London und dann nach Kanada, wo er das Winnipeg Symphony Orchestra von einem Amateur-Ensemble in ein Profi-Orchester verwandelte. Außerdem veröffentlichte er Arbeiten zu chinesischer und indischer Musik. 1984 starb er in Bloomington.
Kaufmanns Werkkatalog umfasst rund 80 Werke, darunter 16 Opern, 3 Ballette, 6 Symphonien, 11 Streichquartette - und nichts davon wird gespielt, nichts davon war auf CD greifbar.
Wenigstens der zweite Punkt hat sich jetzt geändert: Das fulminante ARC Ensemble hat die Streichquartette 7 und 11 aufgenommen, das Septett und eine Sonate für Violine und Klavier und eine Sonatine für Violine und Klavier in Transkription für Klarinette und Klavier.
Welch eine erstaunliche Musik das ist!
Wie die meisten Schreker-Schüler, hat auch Kaufmann mit dem Klangrausch seines Lehrers nichts zu tun. Stilistisch steht seine Musik an der Grenze von dissonant geschärftem Expressionismus und neoklassizistischen Energieschüben. Parallelen zu finden, ist schwer: Der Paul Hindemith der Kammermusiken kommt ins Gedächtnis, Béla Bartók, auch der frühe Dmitri Schostakowitsch. Kaufmann führt gewundene Melodielinien herb gegeneinander oder lässt sie von ostinaten Pulsen unterminieren. Motivfragmente spalten sich ab und steigern sich insistierend zu Höhepunkten. Dann wieder erzeugt Kaufmann eine beglückende Entspannung, etwa im fünften Satz des siebenten Streichquartetts, der nach der Musik eines imaginären Volks klingt.
Das viertelstündige Septett für sechs Streicher und Klavier hat im Grund symphonisches Gewicht. Mit seinen ausgedehnten vergrübelten Abschnitten und seiner bohrenden Intensität ist es geradezu ein Geniestreich.
Und nun? - Es darf ganz einfach nicht bei dieser einen Walter-Kaufmann-CD bleiben. Zumindest die Symphonien und andere Orchesterwerke möchte man kennenlernen. Dieser Komponist ist jede Aufmerksamkeit wert!