Seit Carly Simon 1972 mit "You’re So Vain" einen Welthit gelandet hatte, endete das Rätselraten nie ganz. Welchen angeblich so prominenten Herrn hatte die US-Amerikanerin vor Augen, als sie ihren Refrain "You’re so vain, you probably think this song is about you" sang? Simon, im Privatleben nicht um glamouröse Kontakte verlegen, hat der Gerüchteküche immer wieder Nahrung gegeben. Nicht bloß einer, sondern drei Männer wären gemeint, spornte sie die Spekulationen an, outete letztlich aber nur einen, nämlich Warren Beatty. Der neigte auch wirklich nicht zum Understatement, wie ein Zitat aus dem Jahr 2007 nahelegt. "Lasst uns ehrlich sein. In dem Song geht es um mich", erteilte er der Triumvirat-Theorie eigenmächtig eine Absage.

Ein anderes Musikratespiel stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert, verdankt sich jedoch keinem Ohrwurm, sondern einem prestigeträchtigen Wälzer, nämlich Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Der Rätselspaß in diesem Fall: Welches Vorbild steckt hinter der Figur des Komponisten Vinteuil und seiner Sonate für Klavier und Violine? Wie später Simon, hat auch Proust Öl in das Feuer der Vermutungen gegossen, letztlich aber weder den Namen Camille Saint-Saëns, César Franck noch Guillaume Lekeu bestätigt.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Ein neues CD-Projekt verleiht nun einem weiteren Kandidaten Auftrieb, nämlich dem französischen Feingeist Gabriel Fauré. "Ich kenne Ihr Werk so gut, ich könnte 300 Seiten darüber schreiben", schrieb Proust im Jahre 1897 in einem Brief an den Tonsetzer. Als der betuchte Autor dann 1907 ein, nach heutigen Begriffen, Networking-Event für seine Förderer organisierte, ließ er ebenfalls Fauré zum Zuge kommen. Nach dem Dinner im Pariser Ritz wurden die saturierten Gäste nicht zuletzt mit Musik des Landsmannes beschallt, darunter wohl auch Faurés - ha! - Sonate für Klavier und Violine.

Théotime Langlois de Swarte, Tanguy de Williencourt Proust, le concert retrouvé (harmonia mundi)
Théotime Langlois de Swarte, Tanguy de Williencourt Proust, le concert retrouvé (harmonia mundi)

Nun haben der französische Geiger Théotime Langlois de Swarte und der Pianist Tanguy de Williencourt diesen Abend musikalisch nachgestellt. Freilich: Ein wissenschaftliches Prüfsiegel dürfen sie sich dafür nicht erwarten, ist das historische Programm doch nicht im Detail überliefert. Zudem ist das Klangbild dieser Aufnahme Geschmackssache. Der edlen Stradivari "Davidoff" steht ein Érard-Flügel aus dem Jahr 1891 gegenüber, der die gesättigten Klangfarben eines heutigen Pendants vermissen lässt.

Andererseits: Gerade die Zartheit dieses Salonklaviers steht dem Gros der grazilen Musikschönheiten trefflich an - etwa Reynaldo Hahns Schwebemelodien ("À Chloris"), Robert Schumanns bittersüßem Stimmungszauber ("Des Abends"), und natürlich dem Kernstück dieses Delikatessen-Reigens, der erwähnten Fauré-Sonate: Kantilenen von romantischer Inbrunst, die dennoch mit leichter, geschliffener Eleganz dahingleiten, brillant eingespielt bis zu den quirligen Finessen des Scherzos. Ein Echo aus Zeiten, als Musik ihr Publikum noch zur Seelenversenkung einlud, statt sich chronischer Wegklick-Tendenzen erwehren zu müssen.