Zwei CDs, die, wegen überbordender Konkurrenz, wenig interessant scheinen, und beim Zuhören dann doch für sich einnehmen, weil sie auf wohlbekannte Klassiker neue Blicke werfen: die Sergej-Rachmaninow-Aufnahmen des türkischen Pianisten Emre Yavuz und die Einspielungen von Haydns 101. Symphonie ("Die Uhr") sowie der "Jupiter"-Symphonie Mozarts mit dem Klangkollektiv Wien unter Rémy Ballot.

Yavuz, 1990 in Izmir geboren, zählt Fazil Say und Roland Batik zu seinen Lehrern. Er verfügt über eine stupende Technik, einen fein differenzierten Anschlag, einen subtilen Umgang mit dem Pedal - und, ebenso wichtig: Er besitzt Geschmack.
Mit Rachmaninow auf dem CD-Markt zu debütieren, ist eine Ansage: Da begibt man sich in Konkurrenz zu Größen wie Arthur Rubinstein und Vladimir Ashkenazy. Man legt ein Statement ab für einen bestimmten Stil des Klavierspielens, weniger für den intellektuellen als für den schwelgerischen - was als wertfreie Feststellung gelesen sein möchte.

Yavuz überrascht: Er wählt den klanglich dezenteren Bösendorfer für seine Interpretationen - man würde bei Rachmaninow eher einen Steinway mit seinen rauschenden Farben erwarten. Aber es wird schnell klar, worauf Yavuz hinauswill: Man kann Rachmaninow auch differenziert spielen, seine verströmende Melodik kanalisieren, klare Abschnitte formen, ohne auf die Schaustellung von Brillanz zu verzichten. Kraftvolle Fingerartistik gehört bei Rachmaninow eben dazu. Yavuz interpretiert die Zweite Sonate und die zehn Präludien op. 23 mit Gespür für Rachmaninows Atem, sein Flair, das auch den Salon streift: Ein wenig Parfum darf sein, Süßlichkeit und Kitsch aber sind verbannt. Differenzierte Interpretationen mit Zwischentönen beim Sturm auf die Gipfel der Virtuosität sind das Ergebnis. Anders als Rubinstein, anders als Ashkenazy - aber nicht in Kategorien von "besser" oder "schlechter".

Rémy Ballot nimmt für das Label Gramola einen Zyklus der Symphonien Anton Bruckners auf. Die bisher erschienen Einspielungen zeigen ihn (mit Ausnahme der frisch musizierten "Sechsten") als Vertreter eines Zugangs mit breiten Tempi, mehr Sergiu Celibidache als Eugen Jochum.
Wer freilich glaubt, Ballot sei insgesamt einer der "Langsamen", irrt: Seine Aufnahmen von Wolfgang Amadeus Mozarts "Figaro"-Ouvertüre und "Jupiter"-Symphonie sowie Joseph Haydns 101. Symphonie mit dem fulminanten Klangkollektiv Wien zeigt grundvernünftige Tempi. Schnell genug, dass (auch in den langsamen Sätzen) Bewegung herrscht, langsam genug, dass man die Details hört. Sehr schön, wie Ballot Haydn vom Rhythmus her zu entwickeln scheint und Mozart von der Melodie aus; feine Abstufungen der Instrumentalfarben bei beiden Komponisten.

Damit sei ein Nörgeln gestattet: Ausgerechnet drei Werke, die zu den meisteingespielten dieser Musikepoche gehören - das ginge spannender. Etwa mit Haydns "Lamentatione" und einer der mittleren Mozart-Sinfonien. Beim nächsten Programm bedenken: Bei einer Wahl zwischen Böhm, Karajan, Harnoncourt und Ballot - zu welchem Dirigenten wird man eher nicht greifen? Selbst, wenn es ungerechtfertigt ist.