Ein harmloses Busserl hier, ein handfester erotischer Exzess da: Oper bietet wirklich alles - und in der Hand von Meistern sogar gute Musik. Aber nicht alles, was gute Musik ist, bringt taugliche Opern hervor, und manch tauglicher Oper genügt zweitklassige Musik. Paradebeispiel für den ersten Fall ist zweifellos Carl Maria von Webers "Euryanthe", das für den zweiten Richard Strauss' "Rosenkavalier".

Apropos Strauß - aber jetzt mit scharfem ß: "Ritter Pásmán" ist die einzige Oper von Johann Strauß Sohn - und ein Schmerzenskind. Weshalb, verrät die eben bei Orfeo erschienene Gesamtaufnahme einer ORF-Produktion aus dem Jahr 1975.
Strauß schrieb ein paar Operetten, die ganz nahe an der Oper sind, etwa der "Zigeunerbaron", "Jabuka" oder "Simplicius". Wäre er Franzose gewesen, hätte er diese Werke "Opéra comique" genannt. Dann stünden sie im Umfeld von Georges Bizets "Carmen" und nähmen sich dort als ebenbürtig aus. So aber sind sie "Operetten", was dem Namen nach eine "kleine" oder eine "leichte Oper" ist, und "kleine" oder "leichte Opern" scheinen in der bedeutung halt nicht Schritt halten zu können mit Richard Wagners schwergewichtigen Monstren oder Giuseppe Verdis heißblütigen Reißern.

Die unstillbare Sehnsucht des Wagner-Verehrers Strauß war, eine richtige große Oper zu komponieren. Als er von der Wiener Hofoper (der heutigen Wiener Staatsoper) einen entsprechenden Auftrag erhielt, schrieb er die komische Oper "Ritter Pásmán".Und das Unglück nahm seinen Lauf.
Es beginnt beim Inhalt: Der König gibt der Frau des Ritters ein Busserl, der findet das ungehörig, erkennt den König nicht, beschwert sich beim König offiziell, und nach der Aufklärung bekommt er Genugtuung: Er darf der Königin ein Busserl geben.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.
Schlimm? - Nein. Albern? - Auch nicht. Geradezu trottelhaft ist dieser Inhalt.
Und Strauß? - Er schreibt glänzende Nummern, Verdi und Wagner blitzen durch; aber er kann mit den Rezitativen nichts anfangen. Und er hat keine Farben, um ein erotisches Flackern und damit den Inhalt irgendwie glaubhaft zu machen. Er müsste suggerieren, dass dieses Busserl, auch, wenn es der Text nicht sagt, mehr bedeutet. Das aber bleibt aus. Und so spürt man lediglich das Bemühen, eine Oper zu schreiben. So herrlich viele Stellen sind: In seiner Gesamtheit überzeugt das Werk nicht.
Franz Schrekers Klangerotik
Da war Franz Schreker ein anderes Kaliber des Musikdramas - und nicht nur, weil er 53 Jahre jünger als Strauss war und damit einen Erfahrungshorizont hatte, zu dem Wagner ebenso gehörte wie Puccini. Schrekers erste reife Oper, "Der ferne Klang", jetzt in einer Neuaufnahme bei Oehms vorgelegt, ist eine Künstlertragödie, die sich im Spannungsfeld von Wiener proletarischem Milieu und erotischen Orgien in Venedig abspielt.
Schrekers eigener, stilistisch beachtlicher Text ist eine kühne Mischung aus dem Naturalismus eines Ferdinand von Saar und der Dekadenzdichtung eines Oscar Wilde oder Charles Baudelaire.
Und welch eine Musik! - Da gibt es im ersten Bild Stellen, die in ihrer stilisierten Volkstümlichkeit wie eine harmonisch aufgeputschte Wilhelm-Kienzl-Nachfolge anmuten, dann impressionistischen Farbenrausch, dann wieder frühexpressionistische Glut. Am Schluss hört der Protagonist seinen "fernen Klang" - irisierend, verführersich schön und ungreifbar wie ein Gespinst im Wind: Eine Musik des Jenseits begleitet den Protagonisten in einen Tod, der weder Erlösung noch Erfüllung ist, sondern nur ein unendlich trauriges Verdämmern.
Sowohl bei Strauß als auch bei Schreker sind die Einspielungen zu rühmen. Heinz Wallberg dirigiert fulminant den "Ritter Pásmán" mit Eberhard Waechter in der Titelrolle und anderen Spitzenkräften des Staatsopernensembles. Wenn man den "Pásmán" zumindest konzertant retten kann, dann so.
"Der ferne Klang" ist eine makellose Produktion der Frankfurter Oper. Dirigent Sebastian Weigle differenziert wunderbar die stilistischen Sphären. Die Hauptrollen sind mit Jennifer Holloway, Ian Koziara und Dietrich Volle fulminant besetzt. Beide Aufnahmen sind ein unbedingtes Muss für den Klassik-Sammler.