Den "Faust" hat doch wirklich kein Komponist in den Griff bekommen! - Zumindest nicht in der Version Johann Wolfgang von Goethes. Um diesen im deutschen Original komponieren zu können, brachte sich der Engländer Havergal Brian die Sprache im Selbststudium bei. Seine Oper "Faust" ist soeben bei Dutton in einer makellosen Aufnahme unter der Leitung von Martyn Brabbins erschienen und - Moment, so schnell geht das nicht mit dem Urteil.

Havergal Brian als 24-Jähriger im Jahr 1900. Ihm blieben weitere 76 Jahre Lebens- und Schaffenszeit. - © Unbekannter Urheber / Public domain / Wikimedia Commons
Havergal Brian als 24-Jähriger im Jahr 1900. Ihm blieben weitere 76 Jahre Lebens- und Schaffenszeit. - © Unbekannter Urheber / Public domain / Wikimedia Commons

Etliche Komponisten sind Goethes Drama ausgewichen: Franz Liszt und Gustav Mahler arbeiteten es symphonisch auf, Ferruccio Busoni und Hermann Reutter wählten für ihre Opern das Puppenspiel als Basis. Hector Berlioz machte aus Goethe einen eigenständigen Fiebertraum. Nahe an Goethe blieb Arrigo Boito mit einer Version, die librettistisch eine Meisterleistung ist und musikalisch immerhin dem charmanten Leichtgewicht Charles Gounods überlegen. Carl Orff, den das Thema allein schon wegen der Hexen interessieren hätte können und der zweifellos die originellste Lösung gefunden hätte, beschränkte sich auf kurze Ausschnitte in seinem "Schulwerk".

Havergal Brian Faust (Dutton)
Havergal Brian Faust (Dutton)

Nun also Havergal Brian, berühmt dafür, in seiner "Gothic Symphony" mit mehr als 1.000 Mitwirkenden das gigantomanischste Musikwerk aller Zeiten geschaffen zu haben. Er war ein Außenseiter, zu seinen sehr langen Lebzeiten (1876-1972) auch in seiner Heimat wenig beachtet. 32 Symphonien schrieb er, einen großen Teil im Alter über 70, in einem tonalen, aber schroffen, fragmentarischen Stil. Brian hielt den in den Jahren 1955-1956 komponierten "Faust" für seine beste Oper. Die Uraufführung hat er nicht mehr erlebt: Sie fand erst im vergangenen Jahr statt, die hervorragend gesungene Aufnahme erscheint anlässlich des 50 Todestages des Komponisten.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.

Der Text ist der - natürlich gekürzte - erste Teil von Goethes Drama. Ach, hätte Brian doch nur eine englische Übersetzung vertont! Denn er mag zwar Deutsch gekonnt haben, aber er hat Betonungen und Intonationen nicht im Ohr. Die Deklamation ist steif, übersät mit falschen Akzenten und unsinnigen Satzmelodien.

Das ist umso betrüblicher, als Brian durchaus wusste, welch außerordentlichen Stoff er anpackte. Seine Oper ist - man ist versucht zu sagen: ein Bekenntniswerk. In der kompromisslosen Strenge des Kontrapunkts erinnert sie an Paul Hindemiths (insgesamt aber doch weit überlegene) Oper "Mathis der Maler", auch insofern, als Brian zwischen einer geistig philosophischen Sphäre mit beabsichtigt sparsamen Texturen und einem weltlichen Brio mit flackernden Farben unterscheidet. Dabei fokussiert sich Brian auf die Gretchen-Handlung. Seltsam: Das Dämonische bleibt bei ihm eine Randerscheinung. Zwar komponiert er eine beunruhigende Dunkelheit mit ein, verzichtet aber sogar auf die Walpurgisnacht, nicht jedoch auf den Prolog im Himmel. Die Gut-Böse-Balance ist damit verschoben - hin zum Guten, was in der Welt der Oper ein einmaliger Fall sein dürfte.

Zugleich lässt Brian ahnen, was andere Komponisten bei Goethe abschreckte: Nicht nur treibt die Dauer der Monologe selbst Langstrecken-Sänger wie Peter Hoare (Faust), David Soar (Mephistopheles) und Allison Cook (Gretchen) an ihre Grenzen, sie verleiht dem Werk auch einen statischen Charakter. Und nirgends eine Walpurgisnacht zur Belebung.

Somit hat man es wohl mit einem musikalisch bemerkenswerten Wurf zu tun - Bühnenwirksamkeit aber ist etwas anderes. Zum Kennenlernen auf CD indessen unbedingt empfohlen!