Kaum ein großes europäisches Sinfonieorchester leuchtet mit dieser Konsequenz in die Nischen des Repertoires wie das ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Wer allen Ernstes erwägt, diesen Klangkörper aufzulösen oder ihm die finanzielle Grundlage zu entziehen, was in etwa auf das Gleiche hinauskommt, sollte sich einmal mit diesen Veröffentlichungen aus jüngerer Zeit auseinandersetzen.
Marin Alsop hat Robert Schumanns vier Sinfonien auf zwei einzeln zu beziehenden CDs eingespielt. Aber, wie gesagt: Das RSO Wien sucht immer das Außerordentliche. Und so denkt die Chefdirigentin gar nicht daran, den reichlich vorhandenen anderen Aufnahmen der vier Werke Konkurrenz zu machen, was angesichts von Einspielungen von Leonard Bernstein über Rafael Kubelik, Wolfgang Sawallisch, Christian Thielemann und Herbert von Karajan samt einiger Alte-Musik-Spezialisten sinnlos wäre, weil der Markt diesbezüglich gesättigt ist. Marin Alsop hat sich daher die Mahler-Nachinstrumentierungen der Schumann-Sinfonien vorgenommen und unverzichtbare Einspielungen vorgelegt.

Schumann war ein großer Komponist, aber ein lausiger Orchestrator, der wie unter einem Zwang alle Stimmen verdoppelte und verdreifachte, was zu einem fast undurchhörbar dichten Brei führte. Der Dirigent muss helfend in die Balancen eingreifen, sonst sind die Werke verloren.
Mahler nun hat, anders als bei Ludwig van Beethovens Neunter Sinfonie, bei Schumann nicht zusätzliche Farben aufgetragen, sondern durch eine Ausdünnung der Instrumentierung bloßgelegt.

Marin Alsop und das RSO Wien erfüllen diese fabelhaften Bearbeitungen mit viel Spannung und Delikatesse - und mit einem Mal klingt Schumann so frisch, so intensiv, so gar nicht treudeutsch, dass es die reine Freude ist.
Länger zurück liegen die Aufnahmen dieser CD, die sich mit zwei der wichtigsten polnischen Komponisten befasst: Michael Gielen dirigiert das "Stabat Mater" von Karol Szymanowski sowie "Dies irae" und "Threnos" von Krzysztof Penderecki.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.
Szymanowskis "Stabat Mater" ist ein herrliches Werk der Nachromantik mit expressionistischen Obertönen, Anspielungen auf altslawische Kirchenmusik in einem eruptiven Klanggewand explodierender Farbenströme.
Ganz anders die beiden Werke Pendereckis aus seiner ersten Schaffensphase: Das "Dies irae" ist mit einem Gedenken an die Opfer von Auschwitz verbunden, "Threnos" mit einem an die von Hiroshima. Beide Werke sind Klangmonumente ganz eigener Art, Geräusch- und Klangflächenmontagen, das Streichorchester des "Threnos" klingt gar wie ein elektronischer Klangerzeuger. Musik der 1960er-Jahre-Avantgarde, aber von bestürzender Unmittelbarkeit. Nicht einzelne Phrasen tragen den Ausdruck, sondern das Werk ist in seiner Gesamtheit Ausdruck.
Unfassbar, wie genau und klanglich fein ausbalanciert Gielen sowohl Nachromantik als auch Avantgarde ausführen lässt - und wie das RSO Wien diese sonst kaum aufgeführte Musik hier live, ohne Studiobedingungen ausführt. Solch einen Klangkörper auch nur in Frage zu stellen, grenzt an Barbarei.