Diese "Turandot" ist eine der bemerkenswertesten Operneinspielungen seit langem. Der "bemerkenswertesten", nicht "der besten". Denn zu einer der "besten" fehlt es an einem der Soprane und, vor allem, an einem der Tenöre.
Seit 25. April 1926, dem Uraufführungsdatum von Giacomo Puccinis "Turandot", hat die Oper ein Problem: Dieses Werk ist nicht nur eine überraschend avancierte Partitur, die dennoch Erfolgspotenzial hat, sie ist auch ein grandioser Fehlschlag und eine herrliche Ruine. Bemerkenswert: Die Aufnahme ist eine Studio-Aufnahme ohne gleichzeitige szenische oder konzertante Aufführung. Das gab es in den letzten Jahren kaum je. Die Aufnahmetechnik ist perfekt, der reinste Ohrenluxus.

Giacomo Puccini Turandot (Warner Classics)
Der Fehlschlag: Die Librettisten Giuseppe Adami und Renato Simoni haben aus Carlo Gozzis fabelhafter Märchenkomödie ein ernstes Stück destilliert. Was bei Gozzi überdreht, wie als geniale Vorwegnahme des Grand Guignol, daherkommt, ist bei Adami und Simoni eindimensional. Niemand kann verstehen, dass sich Calaf, Tenor ohne Eigenschaften, tatsächlich in die blutgierige, hemmungslos folternde Turandot verliebt.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.
Die Ruine: Puccini starb, ehe er den dritten Akt fertigstellen konnte. Seinem Wunsch, das Werk von Franz Lehár vollenden zu lassen, verweigerte sich der Verlag: Als Österreicher war Lehár Angehöriger der Feindesmacht aus dem Ersten Weltkrieg, während Puccini als der italienische Nationalkomponist nach Verdi positioniert war. Also musste ein Italiener das Werk beenden. Die Wahl fiel auf Franco Alfano, der freilich moderner komponierte als Puccini. Der Uraufführungsdirigent Arturo Toscanini nötigte Alfano zu den Änderungen und Kürzungen, die seither Bühnenpraxis sind.
Antonio Pappano, der Dirigent der Neueinspielung, hat sich jedoch dafür entschieden, zum ersten Mal im Zusammenhang einer Gesamteinspielung Alfanos Original aufzunehmen. Geht ein Bruch durch das Werk? - Gewiss. Aber welch einer! Alfanos Musik überstrahlt sogar die Puccinis. Mögen seine Harmonien und Melodien auch gesucht wirken: Das ist ein grandios gesteigertes Finale. Die Handlung macht es, entgegen der Gerüchte, zwar nicht glaubhafter, aber es übertrifft rein musikalisch die adaptierte Version. Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, Toscanini habe die Verschlechterungen verlangt, damit die Musik seines Freundes Puccini nicht durch Alfanos Arbeit relativiert wird. Pappano dirigiert die ganze Oper fulminant mit genauem Blick auf die Details und einer so perfekten Klangdramaturgie, dass man atemlos staunt.
Auf einem anderen Blatt steht, wie gesungen wird: Strahlend bis schrill von Sondra Radvanovsky, die in der Titelrolle der eiskalten Mörderin psychopathische Züge verleiht. Ermonela Jaho als Liu ist blass und in der Todesszene mehr routiniert stimmschön als berührend. Michael Spyres singt als uralter Altoum jugendlich schöne Kantilenen und ist die eine Fehlbesetzung. Die andere ist Jonas Kaufmann als Calaf: Angestrengt, wie mit letzter Kraft, kämpft er geradezu aggressiv um die Töne. Die Interaktionen funktionieren nicht, er macht sein Ding, und seine Fans werden auch das noch wohl für überwältigend halten.
Die restliche Besetzung ist, wie es so wahr wie abgegriffen heißt, rollendeckend ohne Besonderheit.
Dennoch: Man kommt um diese Aufnahme nicht herum wegen des Finales und wegen Pappano, der aus dieser Gesangsoper eine Dirigentenoper reinsten Wassers macht und ihren Rang, trotz aller Unebenheiten, bestätigt.