Erotische Musik? – Keine Frage, das gibts seit Mozart mit einsamen Höhepunkten bei Richard Wagner und Richard Strauss. Aber Klang gewordener Sex? Das ist die Domäne von Franz Schreker. In seinen Opern sowieso, doch sogar die reinen Orchesterwerke sind an ihren Höhepunkten – darf man das sagen? – Orgasmen des Klanges. Eine Doppel-CD mit Werken Schrekers, dirigiert von Christoph Eschenbach, ist geradezu beglückend und eine unverzichtbare Repertoire-Erweiterung.
Franz Schreker: Der österreichische Komponist war der größte Klangmagier, den die Musik je hatte. Seine zweite Oper, die sich aus dem Verismo herausarbeitet, setzte mit ihrem Titel das Motto: "Der ferne Klang" - eine Suche nach einem unerreichbaren Klang, der gewissermaßen mehr ist als Klang und Bereiche erschließt, in denen sich Sinnlichkeit und Metaphysik vereinen. Schreker stößt dabei in ungeahnte Klangwelten vor von einer Sinnlichkeit, dass dagegen selbst die Klangwunder eines Maurice Ravel und Richard Strauss verblassen.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.
Wie Wagner und Gustav Mahler, so verlieh auch Schreker jedem seiner Werke ein anderes und doch unverwechselbares Klanggewand: Einen Hauch von Giacomo Puccinis Melodik, ungreifbares Irisieren und schwelgerische Exzesse überblendet er in "Die Gezeichneten", einen dunkel morbiden Märchentonfall findet er für das "Spielwerk", den er im "Schatzgräber" mit mahler-naher gebrochener Volkstümlichkeit und einer überwältigenden Klangfarbenpalette ausmalt, expressionistisches Flackern beherrscht "Irrelohe", harmonisch kühne neoklassizistische Experimente unternimmt Schreker in "Christophorus"; dann wieder bricht er die neoklassizistischen Kontrapunkte durch expressionistische Harmonik in "Der singende Teufel" und schreibt schließlich in "Der Schmied von Gent" eine grandiose Volksoper, in der am Schluss die himmlischen Sphären klingen.
"Der ferne Klang", "Die Gezeichneten" und "Der Schatzgräber" waren Dauerbrenner, sie übertrafen zeitweise die Opern von Richard Strauss an Neuinszenierungen – bis die Nationalsozialisten kamen und den Juden Schreker demütigten und terrorisierten. Er zog aus Angst vor einem gemachten Skandal den "Christophorus" zurück. "Der Schmied von Gent" ging im Pfeifen und Buh-Geplärr organisierter brauner Trupps unter, sie zwangen ihn, den Direktor der Berliner Musikhochschule und hochbedeutenden Kompositionslehrer, in Zwangspension. 1933 erlitt er einen Schlaganfall, am 21. März 1934 starb er, zwei Tage vor seinem 56. Geburtstag, an einem Herzinfarkt.

Franz Schreker Orchester- und Vokalwerke (DG)
Nach 1945 hatte man kein Interesse an Schrekers erotischen, sogar sexualisierten Opernhandlungen, die von nachromantisch-expressionistischen Entladungen begleitet wurden. Erst gegen Ende der 1970er Jahre erwachte das Interesse neu, als man merkte, wie modern diese Werke sind mit ihren aus den Abgründen der Psyche geborenen Handlungen voller Sex and Crime und einer Musik, die mit ihren Schichtungen von Harmonien und Klängen wesentlich weiter in die Zukunft blickte als so mancher Komponist, der sich nur einer oberflächlichen Neutönerei verschrieben hatte.
Eine Bereicherung des Repertoires
Das nun von der Deutschen Grammophon veröffentliche 2-CD-Album, das gar nicht genug gerühmt werden kann, läuft unter dem Motto "Der ferne Klang", ist aber im Wesentlichen eine Zusammenstellung von Vokal- und Instrumentalwerken, die unabhängig von den Opern entstanden sind. Nur das irrlichternde "Nachtstück" stammt aus dem "Fernen Klang".
Der "Valse lente" und die "Romantische Suite" sind früher Schreker: Musik mit einer Tendenz zum Schwulst, wenngleich Eschenbach dem Überborden des Sentiments entgegenarbeitet.
Aber welch ein Meisterwerk ist die "Kleine Suite"! Komponiert für Radio-Aufführungen, ist sie agil, linear, neoklassizistisch insgesamt, aber ohne absichtliche Trockenheiten dafür mit exzessiven Höhepunkten. Interessant ist die Suite vor allem, weil sie in knapper, gut überschaubarer Form eine Brücke bildet vom romantisch-expressionistischen Stil der mittleren Periode zum entschlackten, dennoch farbintensiven Neoklassizismus von Schrekers letzten Jahren.
Ganz anders die beiden Lieder "Vom ewigen Leben" nach Walt Whitman: Nahe Verwandte von Alban Bergs Altenberg-Liedern sind sie, die Romantik in den Expressionismus weiterführend. Chen Reiss singt das wunderbar! Ebenso fulminant ist Matthias Goerne in den mahler-getönten "Fünf Gesängen".
Dann erst die "Kammersinfonie": Nur 23 Musiker genügen Schreker, um ein volles, groß besetztes Orchester zu suggerieren. Da ist auch wieder dieser für Schreker so charakteristische Klang: Sex als Musik. Alles räkelt sich und tastet und zuckt in beharrlicher Steigerung bis zur Eruption. Und das ist die Aufnahme, die man von der "Kammersinfonie" haben muss, weil Eschenbach die Farben wie kein zweiter abstuft und Steigerungen herbeiführt, die musikalische Parameter verlassen und nach reiner Wollust klingen, das aber, ohne an Schrekers klugem konstruktiven Formgerüst Verrat zu begehen. Unverzichtbar!