
Alle Jahre wieder präsentiert die Kunsthalle zwei Gewinner eines Preises, den sie selbst unter geringer Mithilfe von Sponsoren ausschreibt. Seit etwa 15 Jahren gibt es diesen Preis der Kunsthalle für Absolventen der Kunstuniversitäten, anfangs nur für die Angewandte, seit fünf Jahren ist auch die Akademie der bildenden Künste mit im Boot. Die Jury wird beiderseits zusammengestellt, es gibt aber auch immer einen unabhängigen Juror von außen, heuer ist das Kurator Marcus A. Hurttig vom Museum der bildenden Künste Leipzig. Die Absolventinnen Ting-Jung Chen (kommt aus Taiwan und studierte bei Monica Bonvicini an der Bildenden) und Hui Ye (kommt aus der Volksrepublik China und studierte bei Ricarda Denzer und Franz Thalmair an der Angewandten) bekommen neben einem Geldpreis von 3000 Euro eine erste Präsentation im Glaskubus am Karlsplatz, dazu jeweils einen Katalog.
Poetische Klanglandschaft
Der Titel, auf den sich beide Künstlerinnen von nach wie vor verfeindeten Staaten einigten, klingt versöhnlich: "Keep me close to you", doch sind ihre Kunstprojekte äußerst politisch und zeigen eindringlich, welche Methoden der Propaganda und digitalen Überwachung heute nicht nur im asiatischen Raum angewendet werden, sondern überall, wo demokratische Strukturen aufweichen.
Die beiden Installationen sind getaktet, da der Sound wichtiger Bestandteil ist und sich sonst stören würde. Beim Eintreten dreht sich eine Skulptur, die Hui Ye nach ihrem QR-Code nachgebaut hat. Mit diesem Code erschafft sie sich in der chinesischen Kommunikationsplattform WeChat eine digitale Identität. Dazwischen liegt die große Firewall, mit der die chinesische Regierung den Datenfluss zu internationalen Onlinemedien unterbindet. Im 32 Minuten laufenden Video "Quick Code Service" wird zwischen Fiktion und Dokumentation gewechselt, um zu verdeutlichen, wie sehr wir auf beiden Seiten der Manipulation digitaler Medien ausgesetzt sind. Ein Mobiltelefon genügt - es hängt hier als wichtiges Bindeglied zu dortigen "Freunden", aber auch als Corpus Delicti an der Wand.
Das etwa 30 Minuten laufende Video von Hui Ye wird abgelöst von einer einige Minuten laufenden Komposition Ting-June Chens. Dabei wird Soft-Pop einer bekannten taiwanesischen Sängerin überlagert von einer zweiten Stimme, wobei beide auch kontrapunktisch transformiert sind: Bach meets Pop aus Taiwan oder doch "Agit-Prop"? Denn seit Jahren wird von einer vorgelagerten Insel auf das chinesische Festland Gesang geschallt, der wie zwischen Nord- und Südkorea der psychologischen Kriegsführung dient. Vom Festland tönt eine ähnlich laute und riesige Anlage mit an die 50 Verstärkern dementsprechend politische Sprach- und Musikinhalte zurück.
Die Künstlerin hat diese Schallmauer, die in Wirklichkeit aus riesigen Betontrichtern besteht, in poetischer Weise im Bogen als installativen Zwitter gebaut, zum einen ist es ein Modell, zum anderen eine Archiskulptur. Was vor Ort Tag und Nacht zwei heute wirtschaftlich gar nicht mehr so entfernte ideologische Räume mit Propaganda beschallt, ist in der Kunsthalle zum Glück nur eine Klanglandschaft, die poetische Wirkung erzielt, da dieser Teil nach außen offen, während der Videofilm in einer künstlichen Blackbox aus Vorhängen montiert ist.
So hat sich Ting-Jung Chen für die Lichtseite entschieden. Die von ihr thematisierten Propagandaschallwände sind daher im Freien situiert. Während die Kommunikationsplattform aus der Netznacht des Computers unsere Identitäten einfängt, was in Hui Yes Video thematisiert wird.
Lehrreiche Wechselbäder für das Publikum, das sich durch die Taktung der Arbeiten fast eine Stunde hier im Glaskubus am Karlsplatz aufhalten sollte - auch wenn die Schalltrichter in Richtung Secession blicken, sei dies keine Anspielung auf Dispute der künstlerischen Programme, sagt der scheidende Direktor der Kunsthalle, Nicolaus Schafhausen.