Das Plakat bleibe die "Krone der visuellen Gestaltung" und bei unserer digitalen Übersättigung sei bei den Grafikdesignern ein starker Trend zum "Basteln" ohne Computer spürbar, meint Clemens Schedler vom Büro für kreative Gestaltung zur Entwicklung eines wichtigen, schon über hundert Jahre alten Mediums.

Die Ausstellung "100 beste Plakate 18" war zuerst seit Juni im Kulturforum Potsdamer Platz der Staatlichen Museen Berlin zu sehen und zeigt das Ergebnis des zweistufigen Wettbewerbs, der alljährlich in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz ausgeschrieben wird. Der Sieg ging, wie schon seit Jahren gewohnt, zugunsten der Schweiz aus, die 54 Plakate in der Auswahl einbringt, neben Deutschland mit 42 und Österreich mit nur vier.

Atelier: gggrafik Grafik: Götz Gramlich Fake News Plakat Workshop Auftraggeber: TPT - Trnava Poster Triennale - © gggrafik/100 Beste Plakate e. V.
Atelier: gggrafik Grafik: Götz Gramlich Fake News Plakat Workshop Auftraggeber: TPT - Trnava Poster Triennale - © gggrafik/100 Beste Plakate e. V.

Farbe, Ornament, Spiel

Die Jury bestand diesmal nur aus Grafikdesign-Gestalterinnen: Anette Lenz (Paris), Anna Haas (Zürich), Astrid Seme (Wien), Johanna Siebein und Andrea Tinnes (beide aus Berlin). Im MAK ist Peter Klinger als Plakat-Spezialist wie immer Kurator der Ausstellung, die dafür verantwortlich ist, dass die Plakatsammlung (nach ersten Ankäufen 1900 auf der Pariser Weltausstellung und 1929 im MAK etabliert) ordentlich wächst, denn die prämierten Arbeiten gehen allesamt in die Sammlung ein.

Atelier: 101 Grafik: Lukas Fliszar, Jonas Minnig Nevrland Auftraggeber: ORBROCK Filmproduktion GmbH. - © 101/100 Beste Plakate e. V.
Atelier: 101 Grafik: Lukas Fliszar, Jonas Minnig Nevrland Auftraggeber: ORBROCK Filmproduktion GmbH. - © 101/100 Beste Plakate e. V.

Wie gehabt zieht sich die Ausstellung auch vom Kunstblättersaal hinaus in die Säulenhalle. Neu ist nur die seit dem Vorjahr nützbare App Artivive, die 19 Sujets auf dem Handy oder Tablet zu animierten "Moving Posters" wandelt. Im direkten Kontakt ist jedoch noch einiges mehr zu erkennen, denn während in den Vorjahren oft eine Reduktion auf Schwarzweiß, Schrift und strenge formale Lösungen, selbst beim Einsatz von Fotografien, zu bemerken war, ist heuer viel Farbe, Ornament und Verspieltheit in den meisten Sujets zu finden.

Masken und Monster

Das gilt insbesondere für das Plakat des 4. arabischen Filmfestivals in Zürich, bei dem im ersten Moment arabische Schriftzeichen scheinbar dominieren, doch bei genauerer Sichtung taucht die ornamentale Verfremdung des angekündigten Filmfestivals lesbar auf blauem Hintergrund auf.

Daneben, harmlos aber eindrücklich, das Plakat des Tierparks Bern von Claude Kuhn und Mark Hohn, auf dem ein Marabu einen grünen Heuschreck im Schnabel hält. Mehrmals findet sich auch das Schweizer Grafikstudio Raffiniere AG für Gestaltung, das für das Museum Rietberg in Zürich entwirft, und zwar einmal für das chinesische Neujahr, davor für Masken und Monster. Ein besonderes Monster tritt uns jedoch gegenüber im Ergebnis des Fake News Poster Workshops für die Poster-Triennale in Trnava (Slowakei) von gggrafik Götz Gramlich: Donald Trump verschmilzt mit der, Christus ähnlichen Totenmaske des Leichentuchs von Turin. Da dieses nur als Ikone, aber nicht als Reliquie vom Vatikan anerkannt wird und es sich wahrscheinlich um eine mittelalterliche Fälschung handelt, ein äußerst geistreicher Bild-Vergleich.

Es sind Rückgriffe auf die 1960er und 70er Jahre zu spüren, auch ein Ufo dieser Jahre taucht für die Ouvertüre der Neuen Oper Freiburg durch das Studio Neo Neo wieder auf und beim österreichischen Siegersujet für Heinz Tomaten Ketchup, das neuerdings ohne Buchstaben E für Verdickungsmittel mit nur Essig, Tomate, Zucker und Salz auskommt, ist auch das bereits seit den 1930 Jahren bekannte Label der Star. Es wird durch fehlende Buchstaben aktualisiert von VLMY & R Vienna, der minimale Eingriff erinnert jedoch an Andy Warhols Kunstgriffe in Sachen Siebdruck.

Besonders ist aber auch das Produkt-Siegerplakat für den mit dem Max-Ophüls-Preis prämierten Film "Nevrland", das Lukas Fliszar und Jonas Minning vom Atelier 101, kongenial mit dem Plot verbinden: In nur zwei Farben, Schwarz und Rot, dazu als eine Art Negativ, wird die Zerrissenheit der Hauptfigur als Kopf zwischen Schrift wie in Neon leuchtend vermittelt.

Lesen versus Surfen

Zum fünften Mal prämiert mit dabei ist das Studio Es (Verena Panholzer und Paul Katterl) mit einer Dreifachidee für rötliches Steinsalz aus dem Salzkammergut - dabei wird die kristalline Struktur samt verwürfelten Buchstaben vergrößert in Rot, Schwarz und Weiß. Ein Plakat ist für das feine, das zweite das grobkörnige Salz und ein drittes für eine mittlere Stufe, und zeigt ebenso große Flexibilität wie der letzte österreichische Beitrag für 20 Jahre Radio Orange von David Einwaller und Lukas Novak, der wenngleich er nur ein Folder war, eine Zahl zur Sprungfeder inszeniert.

Der Katalog zu dieser alljährlichen Kür aus dem Dortmunder Kettler Verlag behandelt nicht nur nebenbei auch die feministische Seite von Plakatdesign durch einen Essay von Tulga Beyerle, die Seiten sind wie Plakatdruck gelegt und müssen erst aufgeschnitten werden, um das Handwerk noch eindrücklicher verständlich zu machen und dieses Lesen über das Surfen zu erheben.