In der Ausstellungsreihe "Korrespondenzen" kommen bis März mit einer Intervention Agathe Pitiés zum berühmten Altar des "Jüngsten Gerichts" von Hieronymus Bosch in der im Theatermuseum einquartierten Gemäldegalerie der Akademie Bezüge zu Wiens Aktionskunst mit zur Sprache.

In ihre monumentale Tusche-Zeichnung hat sich unter Boschs Dämonen, die in heutiger Ikonografie ergänzt und interpretiert werden, eine Paraphrase nach Valie Exports "Aktionshose Genitalpanik" gemischt, wobei die Künstlerin selbstbewusst stehend von einer nackten Menschenmeute bestaunt und verhöhnt wird. Neben Ritterrüstungen, Drachen, wandelnden Untertassen, behaarten Waldmenschen, allerlei Getier und Mischwesen, hat sich die neue Kunstgeschichte eingeschlichen. Auch den Altmeister des Orgien-Mysterien-Theaters Hermann Nitsch kann man in den Massen von Figuren ganz gut finden. Als angeschlagener Zeremonienmeister auf eine Krücke gestützt, lässt er ein Schwein schlachten, trotz Jüngern und Dämonen an seiner Seite, kommt er weniger gut weg als sein nahe wild agierender Aktionisten-Kollege Günter Brus beim Stadtspaziergang durch Wien 1969. Der wird von einem teuflischen Wesen bemalt, hebt belehrend den Zeigefinger und trägt eine Hacke aus seinen weiteren Aktionen in der linken Hand.

Mythische Wimmelbilder

Die Bezüge zum "Wiener Aktionismus" sind aber nur ein Nebenaspekt in Pitiés Herausforderung einer Aktualisierung des Renaissance-Meisters aus s’Hertogenbosch. Pitié setzt in Sachen Format einen Akzent, indem das handgeschöpfte Papier, auf dem sie ihre Neuinterpretation gezeichnet hat, fast drei Meter Breite und zwei Meter Höhe aufweist.

Mit schwarzen Linien erzeugt sie ein "Wimmelbild" mit hunderten Figuren, Andeutungen von Bäumen und Natur, einem Boden aus Erdschollen, Wasserwellen, aber auch fallenden Sternen und Regenwolken am Himmel. Einer der Heiligen oder Engel, die auch mit Besen agieren, hält die Haut des heiligen Bartholomäus - frei nach Michelangelo. Sie vereint Figuren aus der Bibel, Ragnarök, der nordischen Sagenwelt und Götterdämmerung, mit den Kosmogonien des Ostens und Südens, der Maya-Unterwelt und Dantes "Göttlicher Komödie", in einer wilden Multikulti-Mythenmischung.

Agathe Pitié, Jahrgang 1986, hat bis 2010 an der Akademie in Paris studiert, 2009 einen Preis für ihre Zeichenkunst bekommen und sieht Boschs soziale Kritik als Herausforderung. Sie hat deshalb die Verwerfungen des Turbokapitalismus herangezogen, wenn sie das Steuerparadies Kaimaninseln mit Boschs Höllen im "Jüngsten Gericht" in Beziehung setzt. Es wird durch Krokodile erkennbar gemacht, zudem zeigen Walt Disneys "Bambi" oder "Schneewittchen" die Wandlung der Kunstgeschichte seit der Pop-Kunst. Denn das Integrieren populärer Gestalten zu Göttern der Hochkultur reicht bis in die Netflix-Serie "Disenchantment", deren neue schwarze Dämonen sich mit spätmittelalterlichen Drolerien verknüpfen.