Peepshow! Kurz vorm Gürtel, wo wenige Meter zuvor noch bunte Lichterketten die Schanigärten der Burggasse in sanftes Licht getaucht haben, machen die großen Lettern über der schwarzen Fassade des Gucklochs keinen Hehl daraus, was sich im Inneren abspielt - normalerweise. Am Mittwoch drehte sich auf dem roten Samtpodest vor den Zuschauerkabinen nämlich mit Schriftsteller Franzobel und Musiker Bryan Benner eine etwas andere Besetzung als üblich. Denn von 30. Mai bis 14. Juni macht das Pop-up-Festival "Kultursalon Guckloch" hier das Programm - und das ist gespickt mit bekannten Namen aus der Kunst- und Kulturszene. Dahinter stecken Petra Gradwohl und Stefan Strahammer vom Design Studio Gradhammer und Journalistin Verena Randolf, die sich zum ersten Mal als Veranstalterkollektiv versuchen.
"Am Anfang war nicht klar, ob wir die Veranstaltungen überhaupt stattfinden lassen dürfen. Es gibt ja ein Betretungsverbot für Lokale, die der Prostitution gewidmet sind", sagt Gradwohl. Am vergangenen Freitag kam aber schließlich doch das Go. Und schon einen Tag später eröffnete Bryan Benner den illustren Reigen, passender Weise etwa eine Woche, nachdem Michael Köhlmeier im ORF-kulturmontag sagte: "Da könnte man eher sagen, Österreich ist eher ein Puff, als dass es eine Kulturnation ist" - bezogen auf die rascheren Bestimmungen zum Thema Prostitution im Vergleich zu Kunst und Kultur seitens der Politik. Das Guckloch steht momentan jedenfalls für beides.
Das Publikum wartet auf der Straße auf den Einlass. Üblicherweise dauert ein Act etwa 15 Minuten, dann dürfen die nächsten Neugierigen das Guckloch betreten. Und Neugierde treibt tatsächlich viele hierher, erzählt Petra Gradwohl. Pünktlich um 19 Uhr öffnen die Veranstalter zum ersten Mal die Tür - in Schutzvisier freilich und mit Sicherheitsabstand. Darum geht es hier ja im Grunde auch: Live-Performances trotz Sicherheitsauflagen erlebbar machen. Drinnen trifft man jedenfalls auf das, was zu erwarten war: etwa einen leibhohen, rot gefärbten Penis. Aber bevor man noch über die in natura wohl eher besorgniserregende Signalfarbe des Deko-Geschlechtsteils sinnieren kann, hält Petra Gradwohl daneben auch schon die Spendenbox bereit. Geben kann man theoretisch, was man will, orientieren soll man sich dabei am besten an den regulären Peepshow-Preisen. Ein Euro für eine Minute, also etwa 15 Euro pro Auftritt. Der Erlös wird am Ende des Abends eins zu eins den Künstlern übergeben, die wiederum dazu angehalten sind, 20 Prozent davon an die Vereine Sophie und LEFÖ/TAMPEP zur Unterstützung von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern zu spenden. Denn neben den Live-Veranstaltungen treffen die Corona-Maßnahmen auch jene Branche hart. Am 1. Juli darf das Guckloch seine Pforten wieder öffnen, inzwischen können es die Veranstalter des Kultursalons kostenlos nutzen.
Die Puff-Bar, vor der Gradwohl steht, ist außer Betrieb. Snacks und Getränke darf man aber gerne selbst mitbringen. Einzeln werden die Gäste zu den neun Kabinen geführt. Maximal zu zweit darf man in eine, Platz für mehr Zusehende gleichzeitig ist ja auch im Normalbetrieb nicht vorgesehen. Kurz vor den Kabinen weist ein großes, weißes Banner mit fetten, schwarzen Lettern den Weg zum sogenannten Glory Hole. "Ab fünf Euro", lockt es uncharmant. Die Spezialkabine besitzt ein Loch zum Aufschieben in Leistenhöhe, also eindeutig nicht dazu gedacht, den Kopf durchzustecken. Das Glory Hole ist momentan natürlich außer Betrieb.
Über den Kabinen leuchten rote Lichter - besetzt, soll das normalerweise heißen. Die meisten der quadratischen Gucklöcher im Inneren sind verspiegelt, nur in zwei Kabinen können die Performenden auf dem roten, drehbaren Podest die Gesichter der Zusehenden sehen, kann man sich also quasi beim Beobachten beobachten lassen. In der Dunkelheit zeichnet sich darunter ein Münzschlitz ab; bei einer echten Peepshow müsste man hier erst einmal Geld einwerfen. An der Wand streckt ein Kosmetiktuchspender sein Innerstes nach außen. Die Tür geht zu, die Show beginnt. Und schon krabbelt Franzobel auf den Samtpolster in dem niedrigen, nach allen Seiten hin verspiegelten Raum. Das Publikum klatscht, lacht, pfeift: "Hot! Hot!" Lässig fläzt Franzobel sich hin. Im Gepäck hat er einen Stapel kurzer Texte aus den vergangenen 20 Jahren, die er den ganzen Abend über lesen wird. Während seines unbekümmerten, gewohnt wortwitzreichen Vortrags dringt immer mal wieder Gelächter aus den Kabinen - ein Geräusch, das diese Wände selbst wohl sonst nicht oft vernehmen. Das Setting wirkt plötzlich eigenartig gemütlich, wie eine Art Wohnzimmer-Gig.
Das ändert sich auch nicht, als nach zehn Minuten Bryan Benner übernimmt. Der moderne Troubadour macht seinem selbstgewählten Titel alle Ehre. Im Schneidersitz hält er seine Gitarre und erinnert dabei tatsächlich ein wenig an einen altertümlichen Lautenspieler. Er eröffnet sein erstes Set mit dem Song "Philosophy in the Bedroom". Die Lyrics "I wanna fuck men and women of all sizes and be fucked by them in turn" scheinen der Situation mehr als angemessen, gleichzeitig bricht er so und immer wieder mit dem aufdringlich heteronormativen Setting. Und das mit einem Timbre, das keinen Hehl aus seinem klassischen Background macht.
Eine gewisse Faszination
Er erzählt zwischendurch, dass ihn eine Transgender-Prostituierte zu seinem Song "She knows exactly who she is" inspiriert habe mit den Worten: "This life is a precious gift" - und als er zum Refrain kommt, kommen einige Stimmen aus den Kabinen mit. Die Beziehung zwischen Kunst und Sex im Allgemeinen oder Sexarbeit im Speziellen ist seit je her eine intime. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an einigen Werken Franzobels. "Eine gewisse Faszination für das Milieu war immer da. Was ich so spannend finde, ist die Milieu-Sprache - einer der wenigen Soziolekte, die es noch gibt. Gleichzeitig hat es schon auch ein bisschen was Grindiges und den Reiz des Verbotenen."
Im Nachhinein sind die Eindrücke der beiden unterschiedlich. "Ich glaube, was für die Frauen hier oft ein großer Vorteil ist, ist für mich eher ein Nachteil", sagt Benner. "Man fühlt sich relativ einsam auf dieser Bühne." Das Publikum höre man zwar schon, aber man könne gleichzeitig auch abtauchen in eine eigene Welt. Für Franzobel ist der Unterschied zum Theater gar nicht so groß: Wenn man in einem Theater auftrete, sehe man die Leute im Publikum ja auch oft nicht direkt. Auf die Resonanz käme es an, und die ist in den Kabinen trotz Anonymität spürbar. "Im Endeffekt ist das hier auch eine Art Theater. Verkauft werden Unterhaltung und Freude", sagt auch Benner. Oder von Franzobel umgekehrt und deutlich kulturpessimistischer formuliert: "Künstler sind auch Huren, müssen sich verkaufen, insofern ist eine gewisse Nähe zum Milieu schon gegeben."
Für beide ist der Auftritt in der Peepshow definitiv einer ihrer skurrilsten. Wobei Franzobel in Frankfurt schon mal in einem Puff gelesen hat, und zwar eine Neufassung der Josephine Mutzenbacher. Seit der Entstehungszeit der Mutzenbacher, als der Roman noch als Skandalwerk galt, hat sich die Rolle von Sexualität und Pornografie natürlich radikal gewandelt. Franzobel wundert sich, dass der Peepshow-Laden überhaupt noch Zulauf findet, wo doch alles und viel mehr längst online verfügbar wäre. Dass Online-Übertragungen aber nur einen begrenzten Reiz ausüben, daran haben sich wiederum die live gestreamten Konzerte aus den Wohnzimmern vieler Künstler während der Corona-Isolation abgearbeitet.
Ob nun Kunst oder Sex - es geht doch letztlich nichts über das Live-Erlebnis.