Fraglos eine ruhige Schau. Schon allein, weil sie einen mit penetrantem Schweigen begrüßt. Mit einer Unzahl geschlossener Lippen. Und jetzt NOCH stiller. Weil die Galerie bis zum Ende des neuerlich verlängerten Lockdowns zu bleibt wie die Münder gleich hinter der Eingangstür. Ungeduldige müssen sich eben einstweilen mit der Diashow auf der Homepage begnügen.

Rafal Bujnowskis "Current Works" bei Georg Kargl Fine Arts (Gemälde, Zeichnungen und Fotos) sind doppelt aktuell: fast noch geburtsfrisch, stammen sie doch aus dem ersten und mittlerweile zweiten Jahr n. Cor. (nach Corona – und MIT Corona), und sie reflektieren subtil die momentane Lage und die gar nimmer so neue "neue Normalität". Und so nebenbei überprüft der 1974 im polnischen Wadowice geborene Künstler auch noch die Grundlagen seiner Kunst, unterzieht die klassischen Medien und Techniken einem Check-up, testet ihre und seine Grenzen experimentierfreudig aus.

Mit einem Handtuch kann man sich nicht nur abtrocknen. Rafal Bujnowski malt damit auch seine Serie "Torso". - © Courtesy: Rafal Bujnowsky und Georg Kargl Fine Arts / Copyright: Georg Kargl Fine Arts / kunst-dokumentation.com
Mit einem Handtuch kann man sich nicht nur abtrocknen. Rafal Bujnowski malt damit auch seine Serie "Torso". - © Courtesy: Rafal Bujnowsky und Georg Kargl Fine Arts / Copyright: Georg Kargl Fine Arts / kunst-dokumentation.com

Der Strand schweigt in den Sand

Seine Fotos sind halt SEHR körnig. No na, er hat Sand fotografiert. Oder eigentlich die Lippen, die sich als flüchtiges Relief in diesen eingraben, von Licht und Schatten förmlich "herausgemeißelt" werden. Er war nämlich auf Fuerteventura und hat am Strand keine Muscheln gesammelt, sondern – mit der Kamera – Münder. Wie nostalgische Souvenirs aus der Prä-Masken-Ära, vage Erinnerungen an vergangene Tage, in denen man sich noch nicht von Aerosolen verfolgt gefühlt hat und ein Lachen noch keine gefährliche Drohung oder ein Mordversuch gewesen ist. Sich "oben ohne" zu zeigen, hat ja inzwischen bereits etwas von Exhibitionismus. Von Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Gegenübergestellt (oder –gehängt) sind den ephemeren, trockenen Sand-Lippen flüssig gezogene, mitunter sanft lächelnde "Lips" auf Papier, mit einer einzigen Linie und mit sicherer Hand durchgezeichnet. Zwei Lippen machen vielleicht noch kein Gesicht, allerdings anscheinend ein Porträt. Von einem physiognomischen Detail, das aus dem öffentlichen Raum immer mehr verdrängt wird.

Und auf einmal schaut dich die Küchenrolle an: aus Rafal Bujnowskis Serie "Masks". - © Courtesy: Rafal Bujnowsky und Georg Kargl Fine Arts / Copyright: Georg Kargl Fine Arts / kunst-dokumentation.com
Und auf einmal schaut dich die Küchenrolle an: aus Rafal Bujnowskis Serie "Masks". - © Courtesy: Rafal Bujnowsky und Georg Kargl Fine Arts / Copyright: Georg Kargl Fine Arts / kunst-dokumentation.com

Bei "Öl auf Küchenrolle" denkt man wahrscheinlich als Erstes: Da hat jemand nach dem Kochen die Pfanne ausgewischt. Doch vermutlich als Letztes (oder überhaupt nicht) an eine Gruppe Maskierter (OHNE Lippen). Dass sich in der fahrigen Geste des Pinselabstreifens plötzlich Augenpaare andeuten, die über die weiße Leere drüberschauen, die sich wiederum wundersam in einen Mund-Nasen-Schutz oder eine FFP2-Maske verwandelt. Bezeichnenderweise Hygienepapier.

Und das Handtuch versucht sich als Bildhauer

Offensichtlich ein "Serientäter". Einer, der eine Idee eine Zeitlang durchspielt. Ein Variationen-zu-einem-Thema-Typ. Und er zerstückelt den menschlichen Körper (und die Physiognomie) und verteilt die Fragmente über die gesamte Galerie. Seine "Torsi": Das feuchte Bild hat er mit dem Handtuch "abgetrocknet", durch Wischen und Reiben die Ahnung eines Rumpfs aus der Ölfarbe herausmodelliert. Eine geisterhafte Erscheinung, ein mysteriöses Leuchten in der Dunkelheit. Geradezu bildhauerisch. Malen durch das Wegnehmen von Material. Originell: Das Stück Frottee, das nach dem Duschen oder Händewaschen intensiven Körperkontakt hat, ERZEUGT den Körper ausnahmsweise erst. Die monochrome Fläche als Rubbel-Los und der Gewinn ist ein fertiges Bild.

Im letzten Raum werden die Bilder, denen man oft nachgesagt hat, sie wären Fenster, wirklich zu solchen. Zu Fenstern mit Sichtschutz. Zur Membran zwischen Innen und Außen. In der Serie "Stand by Computer" dämmert der Tag jeweils durch einen zugezogenen Vorhang. Als käme das Licht von hinten, dringe durch die Galeriewand. Die senkrechten breiten Pinselstriche mit ihrem transluziden Nuancenreichtum könnte man locker als reines Farbgeschehen lesen, als beschaulichen Dialog zwischen Farbe und Licht. Zum Vorhang werden sie im Grunde bloß durch das schemenhafte Homeoffice im Vordergrund, den Tisch, den Sessel, den aufgeklappten Laptop.

Sind die draußen und wir drinnen oder umgekehrt?, fragen sich die Bilder aus der Serie  "Venetian Blind" von Rafal Bujnowski. - © Courtesy: Rafal Bujnowsky und Georg Kargl Fine Arts / Copyright: Georg Kargl Fine Arts / kunst-dokumentation.com
Sind die draußen und wir drinnen oder umgekehrt?, fragen sich die Bilder aus der Serie  "Venetian Blind" von Rafal Bujnowski. - © Courtesy: Rafal Bujnowsky und Georg Kargl Fine Arts / Copyright: Georg Kargl Fine Arts / kunst-dokumentation.com

Die schwarzweißen Jalousien-Bilder ("Venetian Blind") sind dann gewissermaßen "Doppelbilder". Zwei Bilder in einem. Ein abstraktes und ein gegenständliches. Der Realismus zwischen den Streifen macht aus Letzteren die Lamellen einer Jalousie und diese machen im Gegenzug aus dem Dazwischen eine Aussicht. Je näher man ihr freilich kommt, desto mehr kippen Architektur, Landschaft, Menschen in die Abstraktion zurück. Aber sind die Menschen nun drinnen und sehen zu mir RAUS oder sind sie draußen und blicken zu mir REIN? Ach, seit Corona ist Drinnen eh das neue Draußen.