Wie wird aus flachem Papier eine dreidimensionale Skulptur? Hm. In kleine Stücke zerreißen, diese in Wasser einweichen, dann gut durchkneten und mit Kleister zu einem Brei vermischen, den man gemeinhin Papiermaché nennt, und nachher irgendwas modellieren? Wäre natürlich eine Möglichkeit. Joel Fishers Methode ist freilich weitaus origineller. Die ist sogar schlichtweg . . . konzeptuell.
Man nehme – Papier. No na. Doch nicht das mit den rechten Winkeln, das keine Persönlichkeit hat. Nein, handgeschöpftes. Selbstgemachtes. (Ich krieg ja höchstens eine handgeschöpfte SUPPE hin, schaffe es also bestenfalls, eine Packerl- oder Dosensuppe mit dem Schöpfer aus dem Topf auf den Teller zu befördern.) Und da muss jetzt eine Zeichnung drauf als potenzielle Vorlage für besagtes 3D-Objekt. In der Galerie Hubert Winter hängt gleich eine ganze Reihe davon. Bzw. handelt es sich um insgesamt VIER Reihen.

Fusseln an die Macht!
Lauter abstrakte Schnörkel (okay, einer erinnert frappant an eine obszöne pubertäre Schmiererei), verschlungene oder geradere Blei- und Farbstiftpfade, mysteriöse "Zeichen". Und was sollen die bedeuten? Oder darstellen? Vermutlich eh nichts Bestimmtes. Das sind einfach Einschlüsse. Der US-Amerikaner aus Vermont (geboren wurde er allerdings 1947 in Salem, Ohio) hat in seiner "Apographen"-Serie immer eine markante Faser ausgewählt (die stammt vom Filz, auf dem das Papier getrocknet ist) und hat sie stark vergrößert. Sichtbarer gemacht. Apograph: laut Online-Duden eine "Ab-, Nachschrift, Kopie nach einem Original". Und das Original ist in DEM Fall eben ein haardünnes Gebilde. Es überhaupt zu finden, um es mit seinem kräftigeren Abbild vergleichen zu können, ist schon das halbe Abenteuer, die halbe Schaulust. Außerdem würde man sich diese Blätter sonst sicher nicht so intensiv ansehen.
Fisher überlässt sich nämlich vertrauensvoll dem Material, gibt sich diesem quasi völlig hin. Ein Papierflüsterer. Oder genau genommen flüstert das Papier IHM etwas ein: was er zeichnen soll. Denn die Zeichnung ist bereits von Anfang an im Papier enthalten. Kaum zu glauben, dass auch diese erstaunlich menschlichen Torsi und der geheimnisvolle "Wanderer", diese eindrucksvolle dunkle Gestalt, letztlich auf einen unscheinbaren Fussel zurückzuführen sein sollen. Woraus BESTEHEN diese biomorphen Dinger eigentlich? Stein? I wo. Aus gewachster Bronze. Und pittoresk malt sich eine grüne Patina ins glatte Schwarz hinein.
Die Blätter sind nur sie selbst
Das eine Mal wird eine zufällige Inklusion zum Motiv, ein andermal die (individuelle) ÄUSSERE Form des Papiers zum Inhalt, die KONTUR, werden die unregelmäßigen Ränder so lange penibel wiederholt, bis der Blick in einem verzerrten Netz aus Tuschelinien zappelt. Und wie geht die Ausstellung AUS, deren Titel die Flucht vor einer ominösen Quelle plant ("Escape from Source"), obwohl es offenbar kein Entrinnen gibt? Man starrt auf eine graue Wand aus leeren Blättern, die nur sie selbst sind, pures Material. Wie ein wortloses Manifest, bei dem es auf die Seiten ankommt und darauf, dass sie aus Papier sind, und nicht auf irgendeinen Text.
Bemerkenswert, wie konsequent da einer sein strenges Konzept durchzieht, seinen "materialistischen" Minimalismus. Dass die Arbeiten allesamt zwischen 35 und 50 Jahre alt sind, heißt nun aber nicht, dass sie längst verjährt wären.