Wenn die einen finden, dass man groß ist, und andere, dass man klein ist, so ist man vielleicht gerade richtig", stellt Lisa in Astrid Lindgrens "Wir Kinder aus Bullerbü" fest. "Ja, die Zeit vergeht, und man fängt an alt zu werden. Im Herbst werde ich zehn Jahre alt, und dann hat man wohl seine besten Jahre hinter sich", sagt Pippi Langstrumpf.

Wann beginnt Kindheit, wann endet sie? Endet sie überhaupt? Sich die Kindheit mitsamt ihrer Neugier und Unbefangenheit möglichst lange zu erhalten, ist jedenfalls Maxime unserer Zeit. Und sie bleibt bis ins hohe Alter Sehnsuchtsort und vielfältige Erinnerungsfundgrube. Das Lentos Kunstmuseum Linz widmet sich nach seiner "Rabenmütter"-Ausstellung 2015/16 mit "Wilde Kindheit" wieder einem Thema, das ausnahmslos alle betrifft. Den Geschichten, die hier in Kunstwerken des vergangenen Jahrhunderts erzählt werden, fühlt man sich auf verschiedene Weisen verbunden.

Ein Schmollmoment: Boudin, 2013, Alain Laboile. - © Laboile
Ein Schmollmoment: Boudin, 2013, Alain Laboile. - © Laboile

Hoffnungsträger Kind

Mit der Frage, ob man schon zu den Großen gehört, ist man bereits beim ersten Kunstwerk "Mutprobe" von Martin Honert in der Eingangshalle des Museums konfrontiert: Ein Kind mit zugekniffenen Augen steht auf einer schwindelerregend hohen Leiter, hält einen Regenschirm in der Hand und ist im Begriff zu springen. Man möchte es auffangen, andere wiederum reizt es vielleicht, es ihm nachzutun?

Neue Arbeitswelt: The Babysitter, 2006, Julie Blackmon. - © Julie Blackmon, Courtesy Robert Mann Gallery
Neue Arbeitswelt: The Babysitter, 2006, Julie Blackmon. - © Julie Blackmon, Courtesy Robert Mann Gallery

Um die verschiedenen Aspekte des Kindseins dreht sich die große Gruppenausstellung mit Werken von über 170 Künstlern und Künstlerinnen seit 1900: um Neugier, Disziplin, Unbekümmertheit, Hoffnungen, Träume, Überforderung, Ohnmacht, Unschuld und das Heranwachsen. Die sternförmig angelegte Schau zeigt im Zentrum Videos, in denen sich zwölf Künstlerinnen und Künstler (unter ihnen Henning Mankell, Herta Müller, Yoko Ono) an ihre Kindheit erinnern und reflektieren, wie sich diese auf ihr künstlerisches Schaffen ausgewirkt hat.

Ausstellungsansicht im Lentos. - © Philipp Greindl
Ausstellungsansicht im Lentos. - © Philipp Greindl

Kindern als Versuchsobjekte unterschiedlicher Erziehungsstile, Kindern als Hoffnungs- und gedrillte Leistungsträger, als Schutzbedürftige, als verträumte Spieler, wagemutige Forscher und Neugierig-Unvoreingenommene begegnet man in dieser Ausstellung: Man sieht sie bei Schlammschlachten in Alain Laboiles Fotoserie, beim Planschen bei Franz Gertsch, als Puppenmutter bei Helene Funke, unter dem Weihnachtsbaum bei Lovis Corinth, als elterlichen Spielball bei Maria Lassnig, als traurigen Superman im "Time Out" bei Julie Blackmon, als Kindersoldaten bei Thomas Billhardt oder "Babyking" von Stephan Balkenhol.

Die oberösterreichische Künstlerin Katharina Lackner hat einen Tisch gestaltet, an dem sie die Alltagsfundstücke ihres Kindes wie Forschungsobjekte angeordnet hat und wo sich nun Äste, Muscheln, Steine, Wollfäden und kleine Kuriositäten aneinanderreihen und viel über den Blick sagen, mit dem Kinder die Welt sehen. Der neugierige Windelträger von Vanja Bucan linst beherzt ins Gebüsch und wird sanft von einem Erwachsenen gehalten. Berührend Frenzi Rigling-Mosbachers Installation "Schuh in Schuh", die Kinderschuhe in Erwachsenenschuhe hineingesteckt. Babysneakers in Büroschuhe hineingepresst zu sehen, wirft manch eine Assoziation auf.

Das Streben nach Freiheit und Autonomie der Kinder im Spannungsfeld zwischen Helikoptereltern und realen Gefahren und das Heranwachsen wird ebenso behandelt wie das Kind als erotisches Objekt, Spielball in Machtstrukturen und das Kind im Kriegsgeschehen.

Die Ausstellung ist für Erwachsene und Kinder gestaltet, viele Objekte sind tiefer gehängt. Darüber hinaus gibt es ein Vermittlungsprogramm mit Kinder-Kunstwerkstätten, Familienführungen und Familienfilmen beim Crossing Europe Festival.