Achtung: Die Ausstellung in der Galerie Gans ist nicht ganz viren- und bakterienfrei! Eine Galerie ist zwar eh kein Streichelzoo, aber die Skulpturen hier legen es eben offensichtlich darauf an, dass man sie begrapscht, betteln geradezu darum, unsittlich berührt zu werden, so verführerisch hochglanzlackiert und schlüpfrig, wie sie sind. Die rekeln und schmeicheln sich einem ja förmlich in die Hände hinein. Besonders die eine sollte man freilich vielleicht lieber NICHT angreifen. Die mit der grünen Patina. (Es sei denn, man ist gegen Corona geimpft.) Und von einer anderen kriegt man eventuell Bauchweh und Durchfall. Ach, wenn man sich unmittelbar nach dem Kontakt die Pratzen desinfiziert . . .
Und außerdem enthält die Mutation sowieso keine RNA (und das "Lovely Bacterium" keine D-NA), sondern lediglich Bronze, bzw. ist sie innen komplett hohl. WELCHE Mutation überhaupt? Alpha, Beta, Gamma oder Delta? Dalpra! Mario Dalpra, der Schöpfer fremdartiger Lebensformen (menschlich, animalisch, pflanzlich, mikrobisch), von extrem gelenkigen Fantasiewesen mit weiblichen Rundungen, phallischen Fortsätzen und poppigen Unisexy-Farben, hat halt auch Mikroorganismen kreativ verfremdet. SARS-CoV-2 etwa. Oder ein Magen-Darm-Gfrast (Dalpra: "Ich war lang in Indien"), von dem er gedacht hat: "Is a gute Form, a lustige."
Um ein Haar hätte er dem Keks Beine gemacht

Die Dalpra-Mutation: Die hat der Mario Dalpra noch vor derbritischen Alpha-Mutation erschaffen. Er war also eigentlich der Erste.
- © Galerie GansFast hätte er während unseres Gespräch beim Soft Opening (so heißen neuerdings die Vernissagen, wenn sie sich praktisch den halberten Tag oder gleich über MEHRERE Tage hinziehen) ins Erbgut eines Kekserls eingegriffen, um mir sein Vorgehen beim Erschaffen seiner bio- und anthropomorphen Spezies zu demonstrieren. Jedenfalls hat er auf eine Dauerbackware auf dem Teller gezeigt und gesagt: "Das Keks zum Beispiel, das nehm ich und geb ihm Beine." (Seine Ankündigung hat er dann allerdings ohnedies nicht wahrgemacht. Schade. Ich hätte es gern davonlaufen sehen.) Die Grundprinzipien seines künstlerischen Denkens und Handelns? Verspieltheit und Spontanität. Was nicht bedeutet, dass es nicht Monate dauert, bis ein Opus fertig ist und geschnäuzt und gekampelt auf dem Sockel steht. Oder lackiert, patiniert und poliert.
Apropos lackiert und so weiter: Ist Dalpras Kunst also oberflächlich? Klar. Das macht schließlich einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Sinnlichkeit aus. Nackert sind die Bronzen (oder Aluminiumgüsse) nämlich in der Regel nicht. Mit den geilsten Farben sind sie bekleidet. Oft mit denselben wie Autos. (Mmmh, Jaguar-Grün . . .) Nicht, dass sie das zwangsläufig zu erotischen Spielzeugen für Autofetischisten und –innen machen würde. Personen OHNE Führerschein (wie ich) können durchaus ebenfalls das Verlangen verspüren, sie manuell zu bewundern oder sie mit gierigen Blicken aufzujausnen, sich in ihnen zu spiegeln und in den Tiefen ihrer vielschichtigen Speziallackierung zu versinken. Moment: sich spiegeln. Als autoerotische Gespielinnen für Narzissten und –innen sind sie folglich genauso geeignet.
Nicht alles, was zweimal endet, ist eine Wurst

Mit sich selbst zu zweit und schwer verliebt? Mario Dalpras"Lovers".
- © Galerie GansWoher die Sehnsucht des Bildhauers (und Malers) nach der perfekten, makellosen Glätte kommt? (Autos HABEN keine Cellulitis!) Oder generell seine Faszination für Oberflächen? Aus der Kindheit. Letztlich. Als kleiner Bub hat er einen Unfall mit kochender Milch gehabt und dabei schwere Verbrühungen und ein Trauma erlitten. Narben davongetragen. Und wenn die Haut seiner Skulpturen DOCH einmal einen Kratzer bekommt? Wie verarztet er den? Vermutlich kann man nicht einfach mit Nagellack Erste Hilfe leisten, oder? "Hab ich AUCH schon probiert. Geht leider ned."
Die kühle Glätte und Künstlichkeit des Lacks, die Wärme der unverhüllten Bronze: Die reizvollen Gegensätze werden voll ausgekostet. Und ab und zu erwischt man das polierte Metall in flagranti mit einer lebendig grünen, pittoresken Patina. He, was ist rosarot, hat zwei Enden und ist trotzdem keine Wurst? Ein Geschöpf vom Mario Dalpra natürlich. Das macht quasi Yoga zwischen dem A und O, zwischen seinen beiden "goldenen" Enden, seinen blanken, entblößten Bronze-Spitzerln, die sich neugierig anstarren und anscheinend kurz davor sind, sich einander vorsichtig zu nähern wie die berühmtesten Finger der Kunstgeschichte in der Sixtinischen Kapelle. (Titel der Übung: "Soft Relation.")
Es gibt die introvertierten Einzelgänger, die, die ihr Köpfchen nachdenklich an ihrem erschlafften Schwanenhals in den Schoß hängen lassen ("Lady dressed up"), andere Dalpras wiederum sind mit sich selber zu zweit wie die "Lovers", diese gespaltene Persönlichkeit, ein Pentapode (Fünffüßer) mit zwei zusätzlichen Tentakeln als Arme (Fangarme) und einem halbierten Haupt (und am Grund des Spalts offenbart sich eine Art Geschlechtsorgan, was Vaginales).
Tschuldigung, Ihr Verstand tropft!
Und ständig löst sich die Anatomie in totale Geschmeidigkeit auf, in gummiartige Biegsamkeit. Schlängelt sich die Natur in Richtung Abstraktion davon. Geht Erstere allmählich in Letztere über (und hält sich an die Vorgaben des Titels der Schau: "From Nature to Abstract") oder ist bereits von Anfang an dort, ohne deshalb aber einen "unnatürlichen" Eindruck zu machen. Sogar in den realitätsfernsten Verrenkungen und Windungen nimmt ein Individuum Gestalt an. MINDESTENS eins. "The Embrace": ein ausnahmsweise völlig unbeschichtetes Bronzeknäuel, das mit tänzelnder Eleganz drei Schlingen ausbildet. Köpfe? Die drei Grazien in inniger Umarmung?

Mario Dalpra gönnt sich einen Tag im Paradies: "One DayOut in Paradise."
- © Galerie Gans"Ich möchte nicht zu kopflastige Kunst machen", dieser Satz des Künstlers, der ursprünglich eine Lehre als Koch absolviert hat, und kochen tut man bekanntlich weniger fürs Hirn als für den Bauch (obwohl: Zwei Jahre in einem Jesuitenkloster war er ebenso), dieser Ausspruch entbehrt nicht einer gewissen Ironie angesichts der "Overloaded Minds", wo sich der Verstand zu einer riesigen Denkblase aufbläht, zu einem schweren Farbtropfen, der auf den Boden fällt. Corona-Depression? Wenigstens eine weiße, die wie Perlmutt irisiert. Und eine fröhlich gelbe. (Ob in diesem Gelb Dalpras Herkunft nachhallt? Sein Vater war immerhin Postbeamter, hallo?) Dalpra: "Ich bin innerlich – noch – ein positiver Mensch." Optimistische Gute-Laune-Kunst, deren hintergründiger Witz ein ernstes Schmunzeln provoziert.
Die Pflanze hat einen Gasfuß
Zweideutig wie ein Kippbild (ein Hase schlägt plötzlich in eine Ente um, eine alte in eine junge Frau, eine Vase in zwei Gesichtsprofile): "Kiss My Ass", nein, falsch: "Kiss Me Dressed Up", vielmehr. (Bitte nicht wirklich abbusseln. Wegen der Hygiene. Noch dazu herrscht FFP2-Maskenpflicht, die das Busseln per se erschwert.) Ein kniendes "Ei" mit Rüssel, das dem Betrachter seine prallste Rundung entgegenreckt. Handelt es sich bei dieser freilich um einen Hinter-KOPF oder um einen Hinter-n? Na ja, kommt darauf an, ob der "Rüssel" eine lange Nase ist oder ein langer Hals.
Das ästhetische Muster (Dalpra hat das exzentrische Ei gewissermaßen tätowiert) ist dafür ohne Zweifel von Maori-Tattoos abgeleitet. Denn der gebürtige Vorarlberger (Jahrgang 1960), der heute in Wien, im indischen Anjuna und indonesischen Mas lebt und arbeitet, ist ein Vielgereister (England, Italien, Spanien, Marokko, Frankreich, Deutschland, Australien, Indonesien, Brasilien, Indien . . .), den es eben unter anderem nach Neuseeland verschlagen hat. Und der angeblich weiß, wie Banksy ausschaut, weil er dem sehr auf seine Privatsphäre bedachten Street-Art-Künstler laut den biographischen Angaben auf seiner Homepage 2008 an einem Strand begegnet sein will. ("Their friendship lasts a month, then Banksy disappears into anonymity once more." Ihre Freundschaft hält einen Monat, dann verschwindet Banksy wieder in der Anonymität.")

Da ist jemand "Yellow Minded". (Von Mario Dalpra.)
- © Michael Goldgruber/ Galerie GansTiefsinnig: die Pflanze in British Racing Green (ausgerechnet der legendäre Farbton eines Rennwagens), die ein knackiges Gesäß und zwei Füße hat. (Solange es nicht zwei Gasfüße sind . . .) Die Natur und der Verkehr: symbiotische Erzfeinde. Einerseits zerstören die Straßen die schöne Landschaft, andererseits fährt die Botanik auf das CO2 aus den Auspuffen ab.
Sich ins Paradies zurückzeichnen
Abgerundet wird die Präsentation der Objekte aus den letzten drei Jahren mit was Eckigem: mit Bildern an der Wand. Mischtechniken auf Leinwand und Karton, auf denen sich der mutmaßlich Erwachsene in die kindliche Unbeschwertheit zurückzeichnet und –kleckst. Ins verlorene Paradies. ("Ich finde diesen freien, humorvollen Zugang der Kinder zur Welt inspirierend.") Dekorativ fließende Acrylfarbe (Dalpra war an der Kunstakademie in der Meisterklasse von Arnulf Rainer). Okay, die Bleistiftstriche sind nicht ganz mein Fall. Dennoch würde ich niemals behaupten: "Das kann ich auch." Ich KONNTE es logischerweise. Als Kind. Aber inzwischen kann ich es definitiv nimmer. Der Dalpra kriegt das zugegebenermaßen ziemlich authentisch hin.
"Ich MAG Kinder. Ich hab selber eins." Möglicherweise ist also die Saira schuld, seine Tochter, für die er übrigens ein Buch geschrieben und illustriert hat: "Peter der Löwenbändiger." Dalpra: "Ein Charakter, der unglaubliche Fähigkeiten hat. Er kann zaubern, ist ein hervorragender Schüler, ein Löwenbändiger . . ." Und "Mario der Bronzebändiger" ist ein ausgezeichneter – Bronzebändiger.