Schnitzlers "Traumnovelle" kennt man spätestens, seit sie von Stanley Kubrick verfilmt worden ist (allerdings unter dem Titel "Eyes Wide Shut"). Mit Tom Cruise und Nicole Kidman als das Paar in der Krise, als die Eheleute mit unausgelebten geheimen Wünschen und Begierden. Doch wovon handelt "SCHNIPSELS Traum"? Von Blumen allem Anschein nach.
Auf jeden Fall ist man in der gleichnamigen Ausstellung in der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman von floralen Motiven auf Papier umgeben, die ungerahmt, quasi "nackt", direkt an die Wand, nein, nicht gekleistert, sondern geklammert worden sind. Keine Tapete nämlich, vielmehr imposante, großformatige Fotografien, Nahaufnahmen von üppigen Chrysanthemenblüten. (Sind das noch Stillleben oder schon Porträts?)
Pinsel haben trotzdem keinen Autofokus
Wer IST dieser Schnipsel überhaupt? Laut Online-Duden ein "kleines, abgeschnittenes oder abgerissenes Stück von etwas". Na ja, sooo klein ist es auch wieder nicht, das jeweilige Stück Fotopapier, das Maria Brunner immer aus dem einen Bild ausschneidet, um es, collageartig überlappend, lose vor ein anderes zu hängen und so für eine gewisse Irritation und Abstraktion zu sorgen. Für Brüche in der Wahrnehmung und der Sinnlichkeit. Noch dazu sind die Schichten in unterschiedlichen Farben getönt. Wobei besagter Schnipsel mit seiner markanten, individuellen Form nicht weniger Persönlichkeit besitzt als das blumige Modell selbst.

Hinten verwelken zwei Amaryllen fotorealistisch im Öl, vorne lässt Maria Brunner eine Physiognomie verrutschen.
- © Galerie Elisabeth & Klaus Thoman / kunst-dokumentation.comDie Fotografien nähern sich Gemälden an (wie gestische Pinselstriche züngeln die schlanken Blütenblätter im diffusen Violett, Blau oder Grau herum), im Gegenzug verwelkt die Amaryllis auf der Leinwand fotorealistisch im Öl, verblüht in diesen etwas älteren Arbeiten (2014) delikat in einer monochromen Grundstimmung. Malerei und Vanitas vom Feinsten. Der Pinsel stellt sogar SCHARF wie eine Kamera, fokussiert auf die Vergänglichkeit im Vordergrund, während das Köpfchen weiter hinten in die Unschärfe hineinbaumelt.
Die Stofflichkeit ist ohnehin ihr Ding, und das bedeutet eben nicht unbedingt, dass die nach Berlin übersiedelte Osttirolerin (1962 in Lienz geboren) eine Schneiderin wäre. Gut, zufällig ist sie die Tochter von einer, einer Dirndlblusen-Schneiderin, und gleichsam mit der Nähmaschine aufgewachsen. Und vor ein paar Jahren sind überdies mysteriöse Gewänder durch eine Bilderserie getanzt und geschwebt. Und die waren in jeglicher Hinsicht "stofflich": mit Hingabe in allen Materialqualitäten geschilderte Textilien.
Das Gelb ist freundlich wie dem Smiley seins
Mit der Schärfe (oder besser Unschärfe) spielt sich ein Porträt (2011) ebenfalls gekonnt. Lässt die weibliche Physiognomie eine Spur verrutschen wie bei einem leicht verschwommenen Druck, einem mit "Farbverschiebung". Oder als würde man ein bissl schielen. Ständig wird das Auge herausgefordert, wird man neugierig gemacht. Und natürlich muss man hinter diese dicke rote Wand spechteln, die als riesiger Bauklotz herumsteht und, mit einer Chrysantheme vorne drauf, das Fenster verstellt.

Happy End: Freundliches Gelb mit einem Lächeln. ("I'm glad I'm not me", 2021, von Maria Brunner.)
- © Galerie Elisabeth & Klaus Thoman / kunst-dokumentation.comMan kann jetzt entweder rausgehen und von draußen durch ebendieses Fenster wieder reinschauen, auf die Rückseite der Wand, oder man bleibt drinnen, zwängt sich ins Schaufenster und – erblickt ein Lächeln in einem freundlichen Gelb. Klingt wie die Beschreibung eines Smileys. Ist aber trotzdem keins. Denn eigentlich reißt die expressive, schmissig gepinselte gelbe Fläche auf, und heraus späht verschmitzt – ja, wer? Die figurative Malerei höchstpersönlich? (Bildtitel: "Im glad Im not me." Da ist eine froh, nicht sie selbst zu sein? Kein Selbstporträt also.) Und derweil tun die Chrysanthemen so, als wären sie gemalte Emotionen auf Stängeln.