Was der Pieter Obels macht, hat einen Anfang und ein Ende. Oder zwei ENDEN? Zwischen denen geht’s jetzt freilich nicht um die Wurscht, die bekanntlich ebenfalls zweimal endet (einmal vorne und einmal hinten), vielmehr wird’s dort recht kompliziert. Wegen der vielen Rundungen. Und die haben noch dazu Ecken. Bzw. Kanten. Außerdem sind die beiden Enden in Wahrheit un-endlich.

Und was IST das nun, was der Niederländer macht? Er verbiegt Stahl zu tänzerischer Geschmeidigkeit und Leichtigkeit. "Manchmal bin ich ein bisschen brutal", gibt er zu. Ohne vorherige Skizzen (die collageartigen Papiergesten an den Wänden sind KEINE Vorstudien) und ohne Modell ("Ich möchte gern selbst überrascht werden vom Resultat.") wachsen seine schwungvollen Skulpturen quasi organisch vor sich hin. Durch Aktion und Reaktion. Indem Bildhauer und Material aufeinander reagieren.

Zu viel Bewegungsenergie, um zu bremsen

Komplexe Verschlingungen sind das Ergebnis. Regelrechte "Schlingpflanzen". Und wenn der Blick den Verrenkungen und eleganten Schnörkeln folgt, wenn er versucht, sich im Chaos zurechtzufinden, es zu durchschauen, das Knäuel zu entwirren, und dauernd wilde Loopings macht, kommt man bald drauf, dass das immer eine einzige hyperaktive Linie ist, innen hohl (na ja: Stahl-BLECH eben) und außen kantig (an den Rändern), die sich mit Grazie durch die dritte Dimension "kritzelt", sich selbst umkreist und verknotet.

Hier ist der Cortenstahl von Pieter Obels kurz davor, vom Sockel abzuheben und in "Outer Spaces" vorzudringen. 
- © Galerie Frey

Hier ist der Cortenstahl von Pieter Obels kurz davor, vom Sockel abzuheben und in "Outer Spaces" vorzudringen.

- © Galerie Frey

Und sie enthält einfach zu große Mengen an kinetischer Energie, als dass sie da, wo sie aufhört, abrupt abbremsen könnte. Nein, die hängt mindestens noch ein paar Phantomschwünge dran. Nicht von ungefähr heißt die Ausstellung in der Galerie Frey: "Infinite in All Directions" (unendlich in allen Richtungen). Auf der gedruckten Einladungskarte steht allerdings was anderes: "Unlimited Impossibilities" (unbegrenzte Unmöglichkeiten). Auch ein guter Titel. Besonders weil es doch tatsächlich nicht möglich ist, dass diese Dinger NICHT von den schlanken Sockeln kippen, auf denen sie waghalsig balancieren, während sie sich der Schwerkraft zu entwinden scheinen. Okay, sie sind fixiert. Diskret. An einem Punkt. Und die Sockel? Secondhand-Holz. Tropisches. Eines mit Vergangenheit. Voller Sprünge und Spuren, die von seinem ERSTEN Leben erzählen.

Ach ja, die stählernen Gewächse reifen im Freien nach. Rosten malerisch. Theoretisch tun sie das von allein. Obels: "Aber wir Menschen sind immer so ungeduldig." Drum hilft er bei der Korrosion bisweilen nach. Macht selber das feuchte Wetter. Und kann potenzielle Käufer beruhigen: "Die rosten nicht WEG." Das liegt am Cortenstahl. Der ist wetterfest unter seiner orangebraunen Patina. Sogar die Beatrix, die Ex-Königin der Niederlande (und seit ihrer Abdankung plötzlich Prinzessin – wieder), hat ein Obels-Opus in ihrem Garten. Oder: Schlosspark.

Jedes hat seinen ganz eigenen, eigenwilligen Charakter. Ist eine individuelle Persönlichkeit. Und obendrein ziemlich bewegend. Scheucht den Betrachter im Kreis herum. Weil es aus jedem Blickwinkel anders aussieht.

Skulpturen sind wie Kinder: Sie müssen irgendwie heißen

"Hams das alles SELBER g’macht?" Das fragt man einen Künstler eigentlich nicht. Erstens ist es unschicklich und spielt zweitens angeblich sowieso keine Rolle mehr. Egal. Der Obels HAT jedenfalls alles eigenhändig fabriziert, HAT keine Assistenten. Die grandiosen Skulpturen sind zu 100 Prozent seine Babys. An seiner Vaterschaft hat er nicht den geringsten Zweifel. (No na. Schließlich war er bei der Zeugung dabei.)

Erfüllt hohe Erwartungen. Und die "High Expectations" von Pieter Obels erreichen immerhin eine Höhe von 205 Zentimetern! 
- © Galerie Frey

Erfüllt hohe Erwartungen. Und die "High Expectations" von Pieter Obels erreichen immerhin eine Höhe von 205 Zentimetern!

- © Galerie Frey

"Ein Kind braucht einen Namen", meint er, weshalb er seine Arbeiten fleißig betitelt. Durchaus mit Witz, Poesie und Ironie. "Imperceptible Gestures", zum Beispiel. Unmerkliche Gesten. Also, für MICH sind die Gesten SEHR merklich. Oder "Odd Perspectives": seltsame Perspektiven. "Outer Spaces": Welträume. Plural. "Commonly Accepted Terms": allgemein akzeptierte Begriffe. Oder eine, die sich vom Boden imposant zwei Meter nach oben schraubt und kringelt, erfüllt "High Expectations" (hohe Erwartungen).

Lobend erwähnen sollte ich vielleicht noch die Soletti. Die steifen Stangerln haben sich während der Vernissage wacker geschlagen. Neben all den einschüchternden Kurven.