Die Kunst ist künstlich, die Natur natürlich (no na), daraus folgt, dass die Kunst wohl oder übel unnatürlich sein muss. Der Künstler (und fleißige Manifestschreiber) Hermann J. Painitz (1938 – 2018) war anscheinend sogar der Meinung, man müsse sie, die Kunst, vor den Naturliebhabern retten (und nicht zuletzt vor den Tierfreunden).

Seine pointierten acht Thesen ("Erklärungen, Erläuterungen, Forderungen, Hinweise") begleiten jetzt jedenfalls seine Ausstellung in der artmark galerie, nachdem Galerist Johannes Haller ("Er war nicht nur ein radikaler Maler, auch ein sehr radikaler Denker.") das Heftl kurzerhand zerlegt und die einzelnen Blätter aufgehängt hat, und das eben in der Hoffnung, dass die Leute etwas, das pickt (nämlich an der Wand), eher lesen würden, als das, was liegt (nämlich irgendwo bei den Katalogen und wo man außerdem die Seiten umblättern muss).

"Meintest du: Nagelkunst?"

These Nummer fünf: "Der naturliebende Teil der Menschheit ist ein permanenter Feind der Kunst. Um dieser Gefahr entgegenzutreten, fordere ich die Auflösung der Naturschutzvereine, der Tierschutzvereine, der mit dem Krieg als ,Naturgesetz‘ in Verbindung stehenden Veteranenvereine, der akademischen Bauernvereine und der als Künstlervereinigungen getarnten Kunstbauernvereine." Der gebürtige Wiener und gelernte Goldschmied, der bald auf künstlerischen Einzelgänger umgesattelt hat (klare Farben, klare Regeln), war also definitiv kein Landschaftsmaler, dafür freilich von 1977 bis 1983 Präsident, ach, eines Kunstbauernvereins? Nicht direkt, aber immerhin der Secession.

Hermann J. Painitz mochte es methodisch: "Verwendung der Bildelemente ohne ästhetizistisches Schätzen" (1966). 
- © artmark galerie, 2021

Hermann J. Painitz mochte es methodisch: "Verwendung der Bildelemente ohne ästhetizistisches Schätzen" (1966).

- © artmark galerie, 2021

Ansonsten war das, was er gemacht hat: Knallkunst. Die hat einen Knall? Mehr als einen. Knallt unentwegt. Zumindest falls die vielen bunten "Zielscheiben" (für den Pfeil der Erkenntnis?) tatsächlich in Wirklichkeit dieses akustische Phänomen visualisieren. Ein bissl erinnern die konzentrischen Kreise ja eh an die ringförmigen Wellen, die sich ausbreiten, wenn man einen See "steinigt". Ein optisches Platsch quasi.

Die Schau "Kunst, logisch" verspricht einen "unvollständigen Rückblick" auf das kompromisslose, konsequente Gesamtwerk des bekanntesten Knallkünstlers. Okay, offenbar ist er nach wie vor der EINZIGE Vertreter dieser Stilrichtung, drum notgedrungen der bekannteste. Googelt man "Knallkunst", erhält man zwar "ungefähr 3.400.000 Ergebnisse", allerdings für "Nagelkunst". Und es werden einem Adressen von Nagelstudios vorgeschlagen oder Youtube-Videos mit Maniküre-Tipps. Klickt man dann auf "Stattdessen suchen nach Knallkunst", fragt einen Google erneut ungläubig: "Meintest du: Nagelkunst?" Nein, meinte ich NICHT.

Das Tenretni ist mursredna

Überall Chiffren und enigmatische Zeichen – trotzdem muss man kein Kryptologe sein, um diese Bilder zu verstehen, die verschlüsselten Botschaften zu dekodieren. Weil der Painitz den Schlüssel praktischerweise immer gleich mitliefert. (Oder FAST immer. Das System hinter der "Verwendung der Bildelemente ohne ästhetizistisches Schätzen", datiert 1966, hab ich zum Beispiel nicht einmal annähernd durchschaut.) Diverseste Alphabete hat er entwickelt (das "Brotalphabet", das "Hammeralphabet" . . .), wo er den lateinischen Buchstaben jeweils Objekte der Dingwelt zugeordnet hat, etwa die Formenvielfalt der Brotlaibe oder Hämmer (im Land der Hämmer gibt’s ja genug davon), um nachher mit vier Broten das Wort "Brot" zu schreiben oder mit sechs Hämmern "Hammer".

Unten die Rechenaufgabe (1 + 2 + 3 + 4 = ?) und oben Platz für eigene Notizen? Für die Erkenntnis, dass die Summe der ersten vier Zahlen 10 ist? Aus Hermann J. Painitz' "Tetraktys"-Serie. 
- © artmark galerie, 2021

Unten die Rechenaufgabe (1 + 2 + 3 + 4 = ?) und oben Platz für eigene Notizen? Für die Erkenntnis, dass die Summe der ersten vier Zahlen 10 ist? Aus Hermann J. Painitz' "Tetraktys"-Serie.

- © artmark galerie, 2021

Und was, bitte, ist ein "Tenretni"? Irgendwas mit "zehn" eventuell? (Englisch "ten".) Falsch. Das Internet. Halt mursredna. Nicht, dass es exakt so auf dem Papier stünde. Vielmehr ist es "POINTILLISTISCH" aufnotiert. Da muss man Punkterln zählen. (A ist eines, Z sind 26.) Das Resultat der Rechenaufgabe "20 + 5 + 14 + 18 + 5 + 20 + 14 + 9" ist demnach nicht 105, sondern "Internet von hinten". "20 27692307 51428571 1636363 40 27692307 1636363 51428571" heißt im Klartext ebenfalls "Internet". Diesmal richtig herum.

Ein Opus bezieht sich auf einen gewissen Raimundus Lullus, einen mallorquinischen Philosophen, Logiker und Missionar aus dem 13. und frühen 14. Jahrhundert, der sich intensiv mit der "Ars Magna" (der Großen Kunst) der Kombinatorik befasst hat und AUCH ein Freund von konzentrischen Kreisen war, eine "Argumentationsmaschine" erfunden hat, die mit ihren Drehscheiben voller Begriffe angeblich sämtliche denkbaren Fragen und Antworten hätte erzeugen können sollen. Na ja, ich bezweifle, dass sich mit diesem mittelalterlichen Computer die Frage (geschweige denn die Antwort darauf) generieren lässt, warum der Painitz seine Arbeit "Raimundus Lullus Internet" betitelt hat. Schon allein, weil vermutlich auf keinen der sechs Ringe "Internet" draufgekritzelt gewesen sein wird.

Weil Sytkartet kein griechisches Wort ist

Und worum geht’s in der Werkgruppe "Tetraktys"? Darum, dass 1 + 2 + 3 + 4 zehn ist. Die heilige Zahl der Pythagoräer. Und das soll zudem was mit dem Weltall zu tun haben, das nach mathematischen Prinzipien harmonisch aufgebaut wäre. Und mit der Musik. "Tetraktys" ist übrigens NICHT mursredna, besonders weil "Sytkartet" kein griechisches Wort ist. "Tetraktys" dagegen durchaus. ("Vierheit", "Vierergruppe".) Mit verspielter Strenge werden allerlei Möglichkeiten ausprobiert, wie die ersten vier Zahlen optisch (beispielsweise zu einem gleichseitigen Dreieck aus Tupfen) addiert werden können.

Die "Variationsplastiken" wecken sowieso den Spieltrieb. Mit vier "Bauklötzen" ist’s fad? Blödsinn. Aus denen kann man 24 verschiedene Türme bauen, hallo? (Wenn man die vier "Spielsteine" in immer anderer Reihenfolge stapelt.) Ergo ließe sich der bestehende auf dem Sockel noch 23-mal umarrangieren. Theoretisch. "Permutation ohne Wiederholung" sagen die Mathematiker dazu. Die eckigen Klötzchen mit den abgerundeten Kanten mögen hier alle dieselbe Farbe haben (die vom Sandstein – zumal sie aus Sandstein SIND), dafür sind sie unterschiedlich hoch. Ergeben beim Auftürmen einen Rhythmus.

Das ist . . . kein abstraktes Bild. Sondern Julius Caesar. Pseudostatistisch porträtiert von Hermann J. Painitz. 
- © artmark galerie, 2021

Das ist . . . kein abstraktes Bild. Sondern Julius Caesar. Pseudostatistisch porträtiert von Hermann J. Painitz.

- © artmark galerie, 2021

Und was macht man mit den 30 in einen Holzrahmen eingeschlichteten, oben schräg angeschnittenen Betonzylindern? Sie verdrehen. Eine Meditationsübung wie das Kämmen des Tischsandgartens. Nur lauter.

Wem sieht die abstrakte Kunst ähnlich?

Bloß weil einer Sachen fabriziert, die mutmaßlich geometrisch abstrakt sind, bedeutet das jedoch nicht zwangsläufig, seine Kunst wäre "unmenschlich". Oder hätte null Bezug zur Realität. Ist die Johanna Mikl-Leitner vielleicht KEIN Mensch? Und ihr Gesicht KEINE Realität? Zugegeben, erkannt hätte ich sie nicht. Sie hat da mehr Ähnlichkeit mit der Mickymaus als mit der Kaiserin von Niederösterreich. Die vermeintlichen Ohren sollen nämlich eigentlich die Augen sein und der riesige Kreis, an dem sie dranhängen, ist – die Nase (die Herrscherin über die landeshauptfrauliche Physiognomie). Im Gegenzug würde einen der Bundeskanzler mit seinen großen, blauen . . . OHREN anstarren. Seinen dominanten Rundungen. (Wenn das Bildnis ausgestellt wäre. Aber Julius Caesar wäre stattdessen zu haben.)

Karikaturen? I wo. Sogenannte "pseudostatistische Porträts"! Und die kennen nun einmal keine Gnade. Und haben mindestens genauso viel Humor wie ein Smiley. Ihrer ist lediglich hintergründiger.