Den Semmering nennt man auch "Zauberberg", seine Landschaft scheint magisch. Das ist kein Zufall. Alles am Semmering war darauf ausgerichtet, die alpine Umgebung den Gästen so reizvoll wie möglich zu präsentieren. Schon die Anreise mit der Semmeringbahn war ein Ereignis, jeder wusste, an welcher Stelle der Strecke die Naturkulisse am beeindruckendsten war. Sie war die erste Eisenbahnstrecke, die je zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurde.
Wolfgang Kos ist ein ausgewiesener Spezialist in Sachen Semmering. Der Mit-Erfinder der Ö1-Reihe "Diagonal - Radio für Zeitgenossen" hatte 1992 die niederösterreichische Landesausstellung zu Semmering, Rax, Schneeberg kuratiert, kürzlich erschien sein Buch "Der Semmering. Eine exzentrische Landschaft". Diese konnte durchaus noch zeitgenössische Interventionen vertragen. "Ich hatte die Idee, am Semmering eine Biennale zu machen," sagt Kos. "Was kann bildende Kunst in so einem dichten kulturellen Gefüge ausrichten? Es ist ein Laborversuch am aktuellen Publikumsinteresse am Semmering".

Aus der Biennale wurde das Ausstellungsprojekt "Land, Besitz und Commons" der Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich. Hedwig Saxenhuber kuratierte diesen Kunst-Parcours durch die Kulturlandschaft Semmering, der die Dialektik von Natur und Kultur ebenso untersucht wie die Auswirkung wechselnder Besitzverhältnisse auf das fragile soziale Gefüge. Dort wurde der moderne Tourismus als Geldquelle und Publikumsmagnet erfunden, erlebte Hochblüte und Verfall.

Es war die Südbahngesellschaft, die den Semmering touristisch erschloss - und 1882 auf exakt 1.000 Metern Höhe das erste gleichnamige Hotel errichtete, das später von Alfred Wildhack und Robert Morpurgo in opulentestem Späthistorismus luxuriös ausgebaut wurde. 1888 folgte das Panhans, mit 128 Meter Länge und 300 Zimmern von Fellner und Helmer, den Schöpfern unzähliger Opern- und Theaterhäuser der k.u.k. Monarchie. Beide standen in ständigem Konkurrenzkampf. Gab es im Panhans ein Alpenstrandbad, entstand zeitgleich im Südbahnhotel das erste Hallenbad von Emil Hoppe und Otto Schönthal. Zwischen 1909 bis 1911 wurde das Kurhaus der Architekten Franz von Krauß und Josef Tölk am Wolfersbergkogel gebaut. Auf exzessive Dekadenz folgte ein tiefer Fall. Der Verkauf alter Villen und Appartements in alten Hotels führten zu einer Vielzahl an Zweitwohnsitzen. Das machte den Einwohnerzahlen und Budgets der dortigen Gemeinden massiv zu schaffen.
Langsame Wiederentdeckung
Die Covid-19-Pandemie hat das Interesse der Wiener am Semmering wieder geweckt, erste Hoffnungsschimmer zeigen sich schon früher. Der Kultur.Sommer.Semmering nutzt das Südbahnhotel als atmosphärische Spielstätte, der Grazer Hotelier Florian Weitzer will das schon lang leer stehende Kurhaus am Wolfersbergkogel als Grand Semmering wiederauferstehen lassen. Auf der Terrasse dieses Kleinods wurde das Ausstellungsprojekt "Land, Besitz und Commons" eröffnet. "Es ist so eine schöne Gegend und so eine tolle Architektur, was soll da die bildende Kunst?", gesteht Kuratorin Saxenhuber die Schwierigkeit, sich dem kulturgeschichtlichen Reichtum des Ortes anzunähern. Die beteiligten Kunstschaffenden nahmen diese Hürde mit Bravour. Sie wählten derartig unterschiedliche Zugänge, dass es wirklich Spaß macht, ihren Fährten mit geschärfter Wahrnehmung zu folgen. 14 Stationen harren nun ihrer Entdeckung.
Exotische Gewächse unter fremden Bedingungen
Auf der Terrasse des Kurhauses pflanzte Milica Tomić ihre "Flowers (Not) Worthy of Paradise" in ausgehöhlte, geköpfte, vom Rost gezeichnete Sauerstoffflaschen. Dort gedeihen nun zwölf exotische Gewächse, die sonst nicht am Semmering beheimatet sind. Kumquat beispielsweise. Tomić untersucht, wie sie sich unter artfremden Bedingungen verhalten. Man kann auch an den Klimawandel denken als Folge von Kolonialisierung und Inbesitznahme neuer Territorien.
Der alpine Golfplatz am Semmering ist legendär. Er wurde 1926 gegründet, liegt sehr exklusiv auf 1.000 Meter Seehöhe mitten im Wald und ist bis heute so, wie er einmal war. Dort verortete Hannes Zebedin seine Installation "Die Loos-Schleuse" (Golfclub Semmering, Meiereistraße 3). Die Architektur, auf die sie verweist, ist eine Ikone: das Haus Khuner am Kreuzberg, ein Spätwerk von Adolf Loos. "Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne." Mit einem Sockel aus Naturstein und dem weit vorstehenden, flachen Satteldach ist das Haus durchaus ländlich. Dunkelgrüne Schiebeläden und große Fenster lassen das Neue schon erahnen, innen entpuppt sich das Haus als absolut avantgardistisch. Sein Konzept des Raumplans, das dreidimensional Räume unterschiedlicher Höhe und Proportion ineinanderschachtelt, anstatt Flächen zu addieren, ist bahnbrechend. Zebendin baute ein Stück Fassade mit Fenster und grünem Schiebeladen des Hauses Khuner nach. Dieses Gerüst ist ein sichtbarer Eingriff in die Landschaft, das Fenster reguliert den Blick - es wird zu einem Symbol des touristischen Umgangs mit Natur.
Elvedin Klačar macht den Verlust, den der Eingriff des Menschen in die Natur nach sich zieht, noch deutlicher. Als Ort seiner Rauminstallation "Answer Natures Call" wählte er eine Rodelwiese (Bundesstraße 2c, hinter dem Supermarkt). Dort setzte er auf einem Sockel aus Doka-Platten einen Würfel aus Bewehrungseisen in den Hang. Dieser Würfel von dreimal drei Meter lässt sich betreten - man fühlt sich wie im Käfig. Spricht man in die Sprechrohre der Installation, hallen Tierlaute zurück. Es sind Laute von Tieren, die es früher hier gab und die inzwischen ausgestorben sind. Klačar hat seinen Würfel aus Baumaterialien errichtet, um den Zusammenhang zwischen Urbanisierung, Ausbeutung der Landschaft und dem Artenschwund deutlich zu machen. Während seiner Arbeit vor Ort erkannten einige ältere Menschen die Geräusche ausgestorbener Tiere wieder.
Ein Badetuch, das von
der Zukunft erzählt
Unweit des Hotel Panhans befindet sich der Eisteich, über dessen Wasserfläche die Künstlerin Zhanna Kadyrova am Eröffnungstag weiße, mit Helium gefüllte Luftballone aufsteigen ließ. Eine poetische, ephemere Installation, die einen beglückt zum Staunen brachte. Von diesem Zauber blieb nur der See - im nahen Waldstück neben dem Panhans sind dafür immer noch die nonchalant im Wald verstreuten Spuren von Sharif Abdul Baruwa entdecken. Holzscheite, Gerüste, eine verlorene Leinwand, Planen, die viele Assoziationen erzeugt.
Über das Geländer einer alten, von der Zeit gezeichneten Außendusche vor dem Hallenbad des Südbahnhotels hat Zhanna Kadyrova ein Badetuch gehängt. Es sieht aus, als hätte sich vor kurzem erst ein Hotelgast hier abgetrocknet. Kommt man näher, erkennt man, dass dieses Tuch aus Fliesen besteht. Doch es könnte von einer Zukunft erzählen, in der man wieder hier badet.