"Smile, bitch!", schnauzt das süße Mäderl die Raucherin an, die doch bloß für einen Tschick vor die Tür gegangen ist. Lächle, Miststück! Denn Lächeln ist hier Pflicht.

Da steht eben offensichtlich jemand auf Smileys. Überall sind sie drauf. Auf den Menschen (zugegeben, die Galeriemitarbeiter und -innen haben kein Smiley-Tattoo auf der Stirn, das sind schließlich echte Menschen und keine gespielten), auf den Monstern, der Tapete, den Vorhängen . . .

In der Galerie Kandlhofer wird man von den runden, emotionalen Dingern jedenfalls regelrecht verfolgt. Und sie kommen nicht alle in Frieden. Sieht man genauer hin, merkt man schnell, dass nicht jedes grinst. Locker die Hälfte davon ist unzufrieden, zieht die Mundwinkel nach unten. 

Sie überzeugt sogar als Bazille

Zwar ist das vorgegebene Thema des "Curated_by"-Festivals diesmal "COMEDY" (bereits zum 13. Mal engagieren die Galerien, insgesamt 24 sind’s heuer, Kuratoren und –innen), aber gehören Komödie und Tragödie nicht irgendwie zusammen? Sind das nicht insgeheim Zwillinge? Womöglich sogar eineiige? (Na ja, vielleicht eher zweieiige.) Und schreibt Estelle Hoy in ihrem Impuls-Essay nicht: "Lachen ist eine sehr ernste Sache"?

Sooo viele Smileys, aber nicht alle sind glücklich. Einblick in Rachel Macleans Einzelpräsentation "i'm 2 happy" in der Galerie Kandlhofer. 
- © Simon Veres

Sooo viele Smileys, aber nicht alle sind glücklich. Einblick in Rachel Macleans Einzelpräsentation "i'm 2 happy" in der Galerie Kandlhofer.

- © Simon Veres

Ist es. Eine sehr ernste Sache. Rachel Maclean bringt einen laufend zum Schmunzeln (mindestens), derweil lauert in ihrer Einzelpräsentation "i’m 2 happy" (ich bin zu glücklich, kurz: überglücklich), kuratiert von Phoebe Cripps, hinter der plakativ bunten, fröhlichen Herzerlkitsch-Fassade – die Knusperhexe. Gewissermaßen. Nämlich eigentlich eine mutmaßlich pädophile Bestie. (Die versteckt sich im Lüftungsschacht und in der Kanalisation.) Und generell eine unlustige, verstörende, ungustiöse Realität. Wobei: Einzelpräsentation? Die wandlungsfähige Schottin ist eindeutig mehr als nur eine einzelne Person. Sie ist eine multiple Persönlichkeit.

Wundern tät’s mich nicht, wenn sie den schwarzen Gürtel hätte. In welcher Kampfsportart? Im Rollenspiel. In ihren Filmen spielt sie ja, kaum zu glauben, jede Rolle mit Hingabe, viel Latex und diversen Prothesen selbst. Bis hin zum Bakterium. Und lässt sich nachher von professionellen Schauspielern synchronisieren. Okay, den Stressball mimt sie nicht. Oder Happy-Ball. (2-Happy-Ball?) Wenn man ihn drückt, sagt er euphorisch den Titel der Ausstellung auf: "I’m 2 happy!" Und das, obwohl dieses flexible 3D-Smiley ein betrübtes Gesicht macht. Ist der Ball etwa bipolar? Ein Absolvent der Sigmund-Freud-Privatuniversität, den ich gefragt habe, meint: "Nein." Und was ist er dann? "Ein Lügner." 

Netter Onkel sucht Prinzessin

Die Hauptattraktion: die aufwändig und mit großer Liebe zum Detail ausgestattete Produktion "Feed Me!" (Füttere mich!) aus dem Jahr 2015. Für ihr Publikum hat die 1987 in Edinburgh geborene Maclean im Kinosaal eigens knallige, smileygelbe Häufchen gemacht. Oder halt platziert. Sitzsäcke. Immerhin dauert diese überaus gelungene Mischung aus dystopischem Musical und Horrormärchen eine ganze Stunde. Und auch wenn Künstlichkeit und Übertreibung die bevorzugten stilistischen Mittel sind, handelt es sich hinterfotzigerweise in Wahrheit um eine scharfe, bitterböse Analyse der Gegenwart, einer dekadenten, perversen, spätkapitalistischen Medienwelt, dieser Überwachungs- und Bewertungsgesellschaft mit ihren Talentshows, ständigen Werbeeinschaltungen, dem Leistungsdruck und ihrer Unersättlichkeit, dem Hunger nach Konsumgütern, ewiger Jugend und Likes (oder in dem Fall Smileys).

Gib immer 110 Prozent, alles andere ist nur die Hälfte! Auch unter diesem Make-up steckt Rachel Maclean. 
- © Rachel Maclean

Gib immer 110 Prozent, alles andere ist nur die Hälfte! Auch unter diesem Make-up steckt Rachel Maclean.

- © Rachel Maclean

Im Zentrum von Macleans brutalem binärem Fressen-oder-gefressen-werden-System aus lächelnden und traurigen Smileys: ein mächtiger Konzern. Die "Smile Inc." (Lächel AG). Deren Verkaufsschlager: das "Happy Chat Baby", eine dauernd hungrige, fordernde Must-have-Puppe ("Fütter mich! Ich will mehr!") mit Flascherl als Zubehör und einem Gratis-Happy-Ball mit integrierten Kameraaugen, durch die wiederum ein gewisser Mr. Happy, der nette blaue Onkel, heimlich in die Kinderzimmer spechtelt, während er in seinem rosaroten Vorstandsbüro vor seinem herzerlförmigen Laptop mit praktischer Prinzessinnensuchtaste hockt und mit zwei Fingern schnaufend eine Antifaltencreme "vergewaltigt", noch dazu eine, die laut Aufschrift auf dem Tiegel "für die Unschuld" ist ("Pro Innocence"). Mit Niedlichkeitsaktivator. 

Der böse Wolf macht einen auf Froschkönig

Das kleine glupschäugige Mädchen muss naiv und zugleich frühreif sein, ein Girlie fatale, eine Lolita in sexy Strümpfen, die auf der Castingbühne mit erotischer Stimme ein bekanntes Kinderlied ins Tüteneis-Mikrofon haucht ("If you’re happy and you know it, clap your hands . . ."). Frauen werden infantilisiert, Mäderln im Gegenzug sexualisiert. Und jeder muss sowieso unentwegt 110 Prozent geben, sonst ist man ein Totalversager. Deshalb gibt es auf die permanent gestellte Frage "Wie war ich?" bloß zwei Antwortmöglichkeiten: ein Grinsi- oder Depri-Emoji. (Auf die Frage "Bist du glücklich?" existiert dafür allein eine korrekte Antwort: "Ich bin zu glücklich!")

Eine blaufellige Bestie, deren Zielgruppe ebenfalls die Kinder sind, kommt auch vor, die als einsamer, drogensüchtiger Außenseiter in der Kanalisation haust und Antidepressiva einwirft. (Bzw. "Entspannlächel-Tabletten": "Smilaxofrane Tablets." Andererseits ist "Smilax" die wissenschaftliche Gattungsbezeichnung für die Stechwinden, auch "Sarsaparille" genannt, und das ist die Lieblingsspeise der Schlümpfe, die zufällig genauso blau sind.) Ein stark behaartes humanoides Viech ist das. Mit spitzen Zähnen. Allerdings kinderlieb. zu kinderlieb. Als der 2-Happy-Ball einmal durchs Kanalgitter fällt, macht das Biest einen auf Froschkönig ("Hello, little girl!"), will als Gegenleistung für die Retournierung des Spielzeugs im Bettchen der Prinzessin schlafen. Wo es zum bösen Wolf wird. Der sich nicht zuletzt märchenkonform als Großmutter verkleidet.

Da macht aber eine große Augen. Genau: Rachel Maclean. Und bewertet auch gleich ihre Performance: "How did I do? Shit!" (Digital Print auf Acryl, 2021). 
- © Simon Veres

Da macht aber eine große Augen. Genau: Rachel Maclean. Und bewertet auch gleich ihre Performance: "How did I do? Shit!" (Digital Print auf Acryl, 2021).

- © Simon Veres

Standhaft beteuert das Monster dennoch seine Harmlosigkeit. Dass "es nie passiert" sei. "Es", das wäre reine Fiktion. Und tatsächlich verschwimmen sämtliche Grenzen. Zwischen Fact und Fiction, Realität und Schauspiel, Gut und Böse, Täter und Opfer. Bei einem showdownähnlichen Aufeinandertreffen von Mr. Happy und seiner minderjährigen Kundin in der "Happy Street" (Glücksstraße), einer trotz all der positiven Leuchtbotschaften ("Smile", "2 Happy") und der putzigen Babypüppchen in der Auslage düsteren sicherheitsüberwachten Zone, tauschen die beiden ihre Stimmen und man weiß nicht mehr, wer wer ist in diesem Spiel der gegenseitigen Abhängigkeiten. ("Leben ist Grausamkeit. Leben ist Gier. Wir füttern einander. Beuten uns aus, um zu überleben.") 

Beware of the Klon-Rotkäppchen!

Die Konsumenten, die ich rief . . .: Irgendwann formieren sich die angefütterten Gschrappen zu einer nimmersatten kannibalischen Meute, einer Art "kollektiven Lebensform" (wie es eine leitende Konzernmitarbeiterin formuliert, diese ältliche Blondine, die sich mit Tonnen von Make-up in die Jugend zurückzuschminken versucht und mit Smiley-Mickymausohren als Kinderversteherin outet), mutieren zu Klon-Rotkäppchen, die nach dem Massaker an den Erwachsenen mit ihren blutigen Mäulern wieder am Unschuldsschnuller nuckeln.

Ein raffinierter Film voller Ambivalenzen und geschickt eingebauter Leitmotive. Die zwei Finger zum Beispiel. Sie zeigen auf, werden der Kleinen übergriffig in den Mund geschoben oder strecken sich zur Pistolengeste bedrohlich aus, um das Gegenüber mit bloßen Fingern abzuknallen. Peng!

Wenn die Bakterien auf MEINER Haut genauso lieb ausschauen täten, würde ich mich nie mehr waschen: aus "Germs" (2013, von Rachel Maclean), einer gelungenen Parodie auf den Bazillenkult in der Fernsehwerbung. 
- © Rachel Maclean, Germs, 2013, digital video still. Commissioned by Bold Yin for Channel 4 Random Acts.

Wenn die Bakterien auf MEINER Haut genauso lieb ausschauen täten, würde ich mich nie mehr waschen: aus "Germs" (2013, von Rachel Maclean), einer gelungenen Parodie auf den Bazillenkult in der Fernsehwerbung.

- © Rachel Maclean, Germs, 2013, digital video still. Commissioned by Bold Yin for Channel 4 Random Acts.

Das Motiv des Fensters zwischen den unterschiedlichen Sphären wird in den kongenialen Fotoarbeiten aufgegriffen. Figuren aus dem Video sind hinter beschlagenem Acrylglas gefangen, das mit kindlicher Gemeinheit überarbeitet und bekritzelt wird. Das Mädchen drückt sich freudig erregt die Nase am Schaufenster des Spielwarenladens platt, Mr. Happy wird durch die Scheibe seines Büros erschossen, hat rosa Munition im Hirnkastl stecken. 

Hat Werbung nicht eigentlich ein Happy End?

Wer jetzt Blut geleckt hat und mehr will, noch immer nicht genug hat: Werbung gäb’s noch, die sich herrlich selbst durch den Kakao zieht (oder durch das probiotische Joghurt). "Germs" (Keime): In den drei Minuten wird die schöne Sophie, die mithilfe ihres neuen Parfums riecht, als wär sie’s nicht, und die dank der "Miracle Mask" makellose Haut hat, zunehmend bakteriophob. (Richtig. Das Video ist vor Corona entstanden. Sonst wäre sie ja virophob, oder?) Als sie die Bazillen bereits kichern hört (plüschige Kreaturen mit Tentakeln und schlechten blauen Zähnen), kriegt sie Bauchweh, löffelt g’schwind ein Joghurt mit guten Bakterien in sich rein, woraufhin ihr noch schlechter wird, sie sich ins Klo übergibt und reflexartig den "Mr. Mask’s Multi-Keim-Zerstörer" präsentiert bekommt. Oder genauer gesagt die Sprühflasche auf den Schädel bekommt ("Nicht nur Keime werden bekämpft . . ."), bis . . . sie einen Tatortreiniger bräuchte.

Die vermeintlich heile Für-jedes-Problem-ist-eine-Lösung-im-Handel-erhältlich-Welt ertrinkt im Blut, der Hygienefimmel wendet sich am Schluss gegen die Sauberleute. (Bitte trotzdem weiterhin Hände waschen!) Hm. Sollte Werbung nicht ein Happy End haben? (Oder eines, das too happy ist, um wahr zu sein?) Ja, eh.

Ach so, meine abschließende Bewertung fehlt noch. Nun denn, von mir kriegt sie ein :-). Weil Rachel Maclean hat definitiv 110 Prozent abgeliefert.