So schön kann Liebe sein, nämlich so schön gemalt. "Liebe ist mir zu philosophisch, ich bleibe beim Bier", hat zwar einmal jemand gesagt, aber das war definitiv nicht die Christy Astuy, die einem derzeit in der Galerie Estermann + Messner Feuer gibt (mit ihrer Flamme der Leidenschaft, die überall stilisiert auflodert, weil ihr Pinsel gewissermaßen ein Feuerzeug ist: "FLAMIN"). Bei ihr wird schließlich noch auf die Knie gegangen und angebetet, während sie selbst heftig mit den alten Meistern (und mit Picasso) flirtet und ein intimes Verhältnis mit der Kunstgeschichte hat. Bier trinkt jedenfalls keiner. (Obwohl sich "Bier" super auf "Kavalier" reimen täte.)
He, ist das dort nicht die Bette Davis? Nein, das ist Queen Elizabeth I., gespielt von Bette Davis. Und Letzterer soll es ja egal gewesen sein, wie sie selber ausgeschaut hat, solange sie nur so aussah wie ihre jeweilige Filmfigur. Also eigentlich hat Astuy die "Königin des bösen Blicks" gemalt, als diese das Ausgschau der "jungfräulichen Königin" hatte. Bereits Anfang 2019 hat die Malerin mir von ihrem neuen Alter Ego ("jetzt, wo ich älter bin") vorgeschwärmt (Von der Elizabeth? Von der Bette!): "Sie ist das ultimate Bad Ass. Sie ist meine Neue. I love her." Und noch immer ist sie mit ihr glücklich.
Das Alter Ego und das jüngere
Und warum setzt sie sie dann im Wald aus wie Hänsel und Gretel? Okay, eh nicht allein. Mit einem süßen Wauzi! Wie die stolze Karikatur eines in die Jahre gekommenen Alphaweibchens, das keinen Mann hat, doch dafür einen Hund (und einen gewagten Kleidergeschmack).

Im Wald ausgesetzt wie Hänsel und Gretel: "A Woman and Her Dog" von Christy Astuy. (Aber nicht irgendeine "Woman": Bette Davis!)
- © Lorenz EstermannMoment: Alter Ego. Zweites Ich. Hat die Amerikanerin, die 1956 in Carmel, Kalifornien, geboren wurde und seit 1980 in Wien lebt, wo sie an der Angewandten und der Kunstakademie studiert hat, folglich selbst einen besten Freund mit vier Beinen? Durchaus. Allerdings einen anderen. ("Einen Chihuahua.")
Und was treibt ihr Ego ohne Alter? Ihr erstes Ich (bzw. ihr jüngeres, das ungefähr Anfang, Mitte 30 ist) reitet, manieriert verdreht, im Damensitz und trotzdem nicht besonders ladylike auf einem Pferd und wendet uns dabei demonstrativ den entblößten Hintern zu. Wie die Rockabilly-Venus von Velazquez (Tschuldigung: dessen "Venus von Rokeby"). Knackarsch statt Bad Ass. Und mehr Erotik als Götzzitat. Ob Selbstironie eine Form von Narzissmus ist? (So wie das Anfertigen eines Selbstporträts eine autoerotische Praktik?) Das Bild ist angeblich "ein bisschen autobiografisch". Äh, inwiefern? Na ja, schon allein der Titel: "Long, Hard Road." Eine Allegorie auf das nicht immer leichte Leben als Malerin gewissermaßen.
Sich das Binnen-I als Schnurrbart aufkleben
Verkleiden tut sie sich übrigens auch, die Astuy. Putzt sich barock als Gentleman der alten Schule heraus. Wird zum eitlen Gigerl. Gendert sich selbst mit einem aufgezwirbelten, "schnurrenden" Bart. (Eine Hosenrolle wie der Rosenkavalier in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss.) Und hockt sich zu einem gut gebauten, nackten Jüngling hin, den sie bei der Fotosession davor angewiesen hat, für sie als Heiliger zu posieren. Halt ohne Kutte und Schamgefühl.

Hinten ist das neue Vorn: Christy Astuy nimmt die "Long, Hard Road" (2021).
- © Photographer: Lorenz EstermannErinnert frappant an die "Noli me tangere"-Ikonografie, an die Szene aus dem Johannesevangelium, wo der grad erst Auferstandene vor Maria Magdalena zurückweicht mit ebendiesen Worten ("Berühre mich nicht", auf Lateinisch: "Noli me tangere"). Zugegeben, die KavalierIn mit Binnen-I greift hin (behutsam auf den Oberschenkel) und der "Heilige" (zu erkennen am Leuchtringerl rund ums Hinterhaupt) wehrt sich nicht groß, ist freilich ohnedies nicht wirklich da, scheint entrückt in seine überirdischen Gefilde. Man beachte das dekorative Flämmchen, das daneben ludert, nein hoppala (Freudscher Verschreiber): lodert.
Die Ölgemälde sind manchmal regelrechte Kostümschinken. Und unentwegt wird lustvoll gespielt: mit den Geschlechtern, Klischees, der Tradition, die mit Witz gebrochen wird. Alles bloß Theater demnach? Lauter Rollenspiele?
Heiligenscheine sind aber eh sturmfest

Die Hosenrolle als Kavalier steht der Christy Astuy gut. Dafür hat sie für den Heiligen ("Saint", 2021) nicht einmal einen Lendenschurz übrig. Rechts: das Flämmchen der Leidenschaft.
- © Photographer: Lorenz EstermannDie beiden Nackerpatzln im windigen Paradies (das brünstige Feuer zwischen ihnen und die Bäume hinter ihnen werden ordentlich durchgebeutelt): Adam und Christy vor dem Sündenphallus? (Ups, wieder verschrieben: Sündenfall!) I wo: "Two Saints", behauptet der Bildtitel keusch. Ach, eher zwei Scheinheilige. Er in intellektueller Denkerpose (nicht unbedingt der stürmische Liebhaber – da hat das Wetter mehr Temperament), sie (zerzauste Frisur, aber der Heiligenschein sitzt perfekt – wie mit 3-Wetter-Taft fixiert) schaut sich derweil nach einem andern um: nach dem Betrachter. (Oder der Betrachter-in.)
Das machen Astuys Egos und Alter Egos überhaupt gern. Zurückstarren. Dass man sich wie ein ertappter Voyeur fühlt (und Betrachter sind Spechtler – notgedrungen) und sich nimmer sicher ist, wer hier wen beobachtet: das Publikum das Bild oder das Bild das Publikum? Ist nicht neu, ist ein Klassiker. Hat der Raffael genauso gemacht, Blickkontakt mit seinen Zuschauern und Fans aufzunehmen, als er sich in die "Schule von Athen" hineingeschummelt hat. Oder der Dürer in diesem "Wimmelbild" im Kunsthistorischen Museum mit den (vermutlich nicht ganz) 10.000 Märtyrern um ihn herum.
Sogar der Tod ist ein Romantiker, ist total verknallt. Hat Blüten in den leeren Augenhöhlen und kniet in einer mustergültigen byzantinischen Versatzstücke-Landschaft andächtig vor der personifizierten Zerstörung, einer adrett gewandeten, kopflosen Maid, aus deren üppigem Kragen ein fast comichaft vereinfachtes Feuer herauszüngelt. ("Death Pays Hommage to Destruction.")
Mit Tixo hält die Pointe besser
Im "Purple Still Life" gehts sowieso um Leben und das Gegenteil. (Oder Liebe und Tod?) Vanitas-Stillleben mit Picasso. (Für Astuy ist der Spanier mit der blauen und rosa Periode, dem Kubismus und sich selbst "der große Maßstab des 20. Jahrhunderts".) Eine postkubistische Vase, ein sachlicher Blumenstrauß, der plakativ brennt (symbolisch mit der leidenschaftlichen Flamme garniert ist, die dauernd irgendwo auftaucht), und ein Totenschädel mit kitschig floralem Blick. Ein gelungen ungenierter Stilmix, den sich die Künstlerin neuerdings mitunter digital erarbeitet (am iPad – wie ihre "iPad Drawings" generell). Wobei der Humor im realistischen Detail steckt: Als Pointe hat sie einen mysteriösen Handschuh lapidar mit Klebeband (einem gemalten Klebestreifen) auf den purpurnen Hintergrund gepickt.

In Christy Astuys "Purple Still Life" (2021) ist sogar der Totenkopf ein Blumenstillleben.
- © Photographer: Lorenz EstermannVielleicht nicht verliebt, dafür umso mehr "verlippt" ist eine Rose. Die schweigt einen surreal mit den markanten Lippen von Christy Astuy an ("Kissed by a Rose"), die sich zwischendurch auch sonst immer wieder verselbständigen, ein komplettes Gesicht verschlucken und fortan stumm auf den Hälsen oraler Charaktere balancieren.
Köpfe schwellen an, Proportionen verzerren sich, eine Tischplatte kippt, ohne dass der Teller mit den gschmackigen Trauben abrutscht. Weil die Regeln der Perspektive (und der Anatomie) höchstens noch vage Richtlinien sind, blasse Erinnerungen. Und wie NENNT man nun diese mit altmeisterlicher Pinselarbeit genüsslich vorgetragene Künstlichkeit? ("Ich hab immer sehr gerne Plastikblumen gemalt.") Artificial Realism? Angesichts dieser sinnlichen Liebeserklärungen an die Malerei wachsen mir gleich selber Blumen aus den Pupillen.