In einem beschaulichen See im Kongo hat Verena Prenner ein "Black Unicorn" gesichtet. (Gut, davor hat sie einen Einheimischen als solches maskiert.) 
- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

In einem beschaulichen See im Kongo hat Verena Prenner ein "Black Unicorn" gesichtet. (Gut, davor hat sie einen Einheimischen als solches maskiert.)

- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

Nein, Okapi wird man keines in der Galerie Reinthaler finden. Man braucht gar nicht erst danach zu suchen. Und warum heißt die Ausstellung dann "Okapi" wie dieser Paarhufer aus der Familie der Giraffenartigen, diese "Waldgiraffe" mit den gestreiften Zebrahaxen? Ach, das ist eine längere Geschichte. Und in dieser spielt tatsächlich ein Okapi mit. Ein ausgestopftes allerdings. Jenes aus dem Naturhistorischen Museum in Wien. Verena Prenner hat sich nämlich mit dem Fotoapparat (und Insektenspray) auf die Spuren des Abenteurers begeben, der es einst geschossen hat.

Begonnen hat alles mit einer Zigarrenkiste. Die ("a total schöne, halb verrostet, mit einem ägyptischen Motiv drauf") hat ein Bekannter der Fotografin, deren abgeschlossenes Soziologiestudium immer "a wichtige Basis" ihrer künstlerischen Arbeit ist, im Keller entdeckt. Mit jeder Menge Fotos drin, die ein gewisser Rudolf Grauer, Jäger und Afrikaforscher aus Österreich, vor über 100 Jahren im Kongo gemacht hat. (Eine kleine Auswahl der schwarz-weißen Aufnahmen ist auf der Homepage der Galerie zusammengestellt: https://www.agnesreinthaler.com/exhibitions/.) 

Wenn du einen toten Elefanten reitest, steig ab

Unter anderem sieht man ihn, der diverse Sammlungen mit exotischen Exponaten beliefert hat und nach dem sogar eine Gorilla-Unterart benannt ist (Gorilla beringei graueri) und eine Grasmücke (Sylvia graueria), mit Jagdtrophäen posieren, mit Elfenbein, Antilopenhörnern. Oder er "reitet", mit Tropenhelm und Flinte, einen erlegten Elefanten.

Winkekatzen sollen ja Glück bringen: Der "Lucky Tiger" von Verena Prenner bewacht einen kongolesischen Eingang. 
- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

Winkekatzen sollen ja Glück bringen: Der "Lucky Tiger" von Verena Prenner bewacht einen kongolesischen Eingang.

- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

Und zufällig ist seine Landsfrau bald nach dem Auftauchen seiner Fotos selber in den Kongo eingeladen worden. Und dort auf die Jagd gegangen. (Nach Motiven.) Nur dass dabei kein Tier zu Schaden gekommen ist. (Oder die Jägerin triumphierende Selfies mit der Beute gemacht hätte.) Außerdem sind das sowieso keine echten Tiere, das sind verkleidete Menschen. (Nicht, dass Menschen keine Tiere wären. Die sind obendrein Raubtiere.) Schamanen? I wo. Vielmehr Soldaten aus der Garde des kongolesischen Präsidenten, die das Anwesen bewacht haben, auf dem die Künstlerin während ihres Aufenthalts gewohnt hat, und die ihre Chauffeure waren. Und denen hat sie nun ihre animalischen Masken aufgesetzt. Hat sie bis zur Anonymität fantasievoll kostümiert und in der Landschaft in Szene gesetzt.

Einer präsentiert sich etwa im Camouflage-Overall und mit Maschinengewehr in der Botanik, eine Schachtel überm Kopf, auf die Prenner einen simplen Krokodilsschädel gezeichnet hat ("Croco Soldier"). Der Frosch plantscht in einer klaren Quelle ("weil man kann ja nicht in jedes Wasser rein, da sollte man eher an den Wasserursprüngen baden oder Wasser holen" – wo eben noch keine ungeklärten Abwässer eingeleitet worden sind), der "Lucky Tiger" bewacht in einem Dorf einen Hauseingang, hebt die Tatze wie eine Winkekatze (dieser japanische Glücksbringer). 

Da steht der Soldat im Vogelkostüm, plötzlich . . .

Und als ein Gardist einmal mit einem interessant gemusterten, weiten Gewand dahergekommen ist, das perfekt zu ihrer Vogelmaske gepasst hätte, hat die Fotografin ihn, bevor er sich für die Arbeit umziehen hat können, überredet ("Mach ma gleich a Foto!"), sich mit ausgebreiteten Armen als "Congo Bird" imposant vor dem Fluss Kongo zu platzieren.

Schamane? Nein, Soldat im Vogelkostüm. ("Congo Bird.") Die Maske hat ihm Verena Prenner aufgesetzt. 
- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

Schamane? Nein, Soldat im Vogelkostüm. ("Congo Bird.") Die Maske hat ihm Verena Prenner aufgesetzt.

- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

Fast wäre die Situation brenzlig geworden. Oder ein bissl war sie es auch. "Da steht der Soldat im Vogelkostüm, plötzlich kommt die Polizei." Mit einem Boot. Denn eigentlich durfte man hier nicht fotografieren. "Man", wohlgemerkt. Sofern man keinen Schrieb vom Präsidenten dabei hatte, mit dem sich die Sache schnell klären ließ ("dass wir quasi eh alles machen dürfen").

Dokumentarbilder sind das also keine. Trotzdem erzählt Prenners inszenierte Fotografie (streng komponiert und stimmungsvoll) viel über das Land und seine Bewohner, die Mythen und Traditionen, zeugt von Einfühlungsvermögen, Improvisationstalent und Humor. Die Mami Wata ("Mutter des Wassers"), eine fatale Nixe, die von den Einheimischen immer wieder gesichtet wird, geht scheu hinter einem Büschel Grünzeug in Deckung (Prenner hat sich natürlich nicht auf die Lauer gelegt und gewartet, bis das fischige Hybridwesen aus dem Tümpel gekrochen kommt; das ist ebenfalls ein Soldat), und das friedlich in einem See schwimmende Einhorn beantwortet eine Frage, die man sich in Europa wahrscheinlich noch nie gestellt hat, mit einem eindeutigen Ja: "Sind diese Fabelwesen in Afrika schwarz?" Die mitgebrachte weiße Einhorn-Maske hat Prenner jedenfalls farblich auf den nackten Oberkörper des Schwimmers abgestimmt.

Das war zwar nicht die erste Reise der in Wien lebenden gebürtigen Niederösterreicherin (Jahrgang 1982) in eine nicht ganz ungefährliche Gegend (Stichwort "palästinensisches Flüchtlingscamp" – Duschen mit dem rationierten Wasser aus Plastikflaschen inklusive), aber gibt’s im Dschungel nicht wilde Tiere? Moskitos? Giftschlangen? "Ich bin schon ständig mit Moskitoschutz herumg’laufen. Mit meinen Dosen." Am Ende haben sie freilich nicht die Stechmücken vertrieben (oder die Black Mamba . . .), sondern das Coronavirus. Seinetwegen ist sie im März 2020 nach neun Monaten vorzeitig nach Hause zurückgeflogen. 

Fotos sind wie Hirschgeweihe, nur mit weniger Enden

Herausgeputzt fürs Festl: Verena Prenners "Ready-For-the-Party-Croco" macht Stimmung. 
- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

Herausgeputzt fürs Festl: Verena Prenners "Ready-For-the-Party-Croco" macht Stimmung.

- © Verena Prenner, Courtesy: Galerie Reinthaler

"Das Kameragewehr tötet nicht. Dennoch haftet dem Akt des Fotografierens etwas Räuberisches an", hat die amerikanische Essayistin Susan Sontag geschrieben. Und: "Wie die Kamera eine Sublimierung des Gewehrs ist, so ist das Abfotografieren eines Anderen sublimierter Mord . . ." (Mord? Ist das nicht ein wenig drastisch?)

In Anlehnung an diese Vorstellung vom fotografischen Bild als Trophäe, als Beute, wird der Titel der kompletten Kongo-Serie "Trophäen der Zeit" lauten. Und weil Prenners "Kameragewehr" eine analoge Mittelformatkamera ist und sie die Filme immer zunächst einmal entwickeln muss, ehe sie sieht, ob was dabei ist, was sie an die Wand hängen kann wie ein Hirschgeweih, ist es "jedes Mal total spannend, wenn man heimkommt". Was sie im Kongo erbeutet hat, ist lebendig, witzig, geheimnisvoll – und selbst für Vegetarier geeignet.