Jetzt hat sie ihr "letztes Kisterl", sagt Tina Zickler augenzwinkernd und lacht. Die Kuratorin meint damit einen Sarg, der mitten in ihrer Wiener Wohnung steht - und herrlich duftet. Das Behältnis ist nämlich aus Zirbenholz geschnitzt.
Zickler hat sich das "Kisterl" aber nicht aus Eigeninteresse angeschafft. Es fiel ihr im Rahmen eines Kunstprojekts eher unfreiwillig zu. Die gebürtige Deutsche hat in Wien ein Festival zum Thema Tod organisiert und dafür auch die nötigen Gelder aufgestellt, sie überzeugte Mäzene, Subventionsgeber, Sponsoren. In die letztere Gruppe fällt auch ein Tischler, der ihr den Sarg billig abgetreten hat. Zickler wollte das edle Totenbett zugunsten des Festivals verkaufen, fand aber keinen Abnehmer - weshalb es nun vorerst notgedrungen in ihrer Wohnung logiert.
Den Tod enttabuisieren
Aber warum eigentlich ein Festival zum Tod? Wie so oft, hat sich das Thema durch Schicksalsschläge ins Bewusstsein gedrängt. "Rund um mich sind immer mehr Menschen gestorben. Mein Vater ist tot, meine Mutter versinkt in Demenz", sagt Zickler. Ein Kurs für Sterbebegleitung im Kardinal König Haus bestärkte sie dann in der Erkenntnis: "Das ist ein Riesenthema, aber es hat wenig Raum in der Öffentlichkeit, viele Trauernde fühlen sich nicht wahrgenommen."
Das Festival "Memento Mori" will daran ab Donnerstag im Rahmen von Museumsführungen, Vorträgen, Lesungen, Workshops und Konzerten etwas ändern. "Ich versuche, den Menschen mittels Kunst und Kultur eine Brücke zu dem Thema zu bauen." Wobei: Könnte die Öffentlichkeit, Stichwort Corona, des Themas nicht überdrüssig sein? Nein, meint Zickler. Die Pandemie habe viel eher "gezeigt, wie dringend nötig es ist, darüber zu sprechen. Es sind ja in der Zeit furchtbare Dinge geschehen. Dass viele Menschen allein sterben mussten und den Angehörigen ein Abschied verwehrt war, ist grausam und darf nicht mehr vorkommen."
Solche Wunden mit einem Festival zu heilen, wäre natürlich "ein vermessener Anspruch". Dennoch bietet "Memento Mori" an seinen elf Tagen einige Handreichungen für Hinterbliebene. Das Festival - mehr als die Hälfte der Termine sind im Volkskundemuseum gratis zu besuchen - lädt etwa zu einem Workshop zur Gestaltung von Tränentüchern unter der Leitung der Künstlerin Ida Divinzenz. "Das kann zwar keine Wunden heilen, ist aber ein schöner Moment der Besinnung und Hingabe", sagt Zickler. Geselligkeit verheißt das "Café Tristesse", das Trauernde bei Kaffee und Kuchen zum Erfahrungsaustausch einlädt. Eine weitere Gemeinschaft: Der Young Widowers Dinner Club. Vor Jahren in Wien gegründet, teilen seine jungen Mitglieder eine Verlusterfahrung, die in der Öffentlichkeit wenig Wertschätzung erfährt oder mit Worten wie "Du bist jung, such dir den Nächsten" abgetan wird. Beim Festival breiten die Leidensgenossen ihren Erfahrungsschatz in einer Performance aus.
Das Sterben verbindet
Zudem wird einiges an Kunst aufgeboten: Im Volkskundemuseum prangt die Installation "Der Trost der Dinge", die Dia-Projektion "Partout" unternimmt mit Fotografien von Lisa Rastl einen kulturgeschichtlichen Streifzug durch das Themengebiet und die Künstlerin Sabine Groschup stellt geerbte Stofftaschentücher aus, die sie mit Lyrik bestickt hat. Der prominenteste Termin in der Konzertreihe: Begleitet von Dirigent Ingo Metzmacher am Klavier, widmet sich Sänger Georg Nigl dunkelgrauen Liedern von Schubert und Rihm.
Zudem werden zahlreiche Vorträge veranstaltet: Sie widmen sich unter anderem den Trauerritualen des Judentums, des Islams, japanischen Tabus und kroatischen Totenklagen. "Der Tod ist die einzige Gewissheit in unserem Leben - und das, was uns mit allen Menschen verbindet, darum war mir der interkulturelle Ansatz besonders wichtig", sagt Zickler.
Wobei es ihr mit dem Festival nicht nur um die letzten Dinge geht. "Wenn man sich mit dem Tod beschäftigt, tauchen auch Fragen auf wie: Was würde ich tun, wenn ich nur noch drei Monate zu leben hätte? Wem würde ich noch einen Brief schreiben, wem sagen, dass ich ihn liebe? Das ist ja das positive Ziel an dem Ganzen: Dass man durch die Auseinandersetzung mit dem Tod bewusster lebt."