Was hat vier Ecken, und wenn es sich dreht, fängt es an, mit der unverwechselbaren Stimme einer Literaturnobelpreisträgerin draufloszuplappern? Na ja, eine viereckige Schallplatte, was sonst? Bzw. eine sprechende Postkarte. Und die ist sogar schon einmal, konkret: während es zweiten Lockdowns, im Theater aufgetreten. Vor leeren Zuschauerreihen notgedrungen.

Und jetzt rotiert sie im Zentrum einer in mehrfacher Hinsicht symbiotischen Ausstellung beschaulich vor sich hin, in der die reale und die virtuelle Welt, die der Bilder und die der Sprache friedlich koexistieren, sich paaren, amalgamieren. Nämlich in Michaela Stocks Hybridgalerie, die zwei Adressen hat, eine in der Schleifmühlgasse in dieser Stadt mit W (Wien) und eine in diesem globalen Dorf mit den drei Ws (im World Wide Web - https://artspaces.kunstmatrix.com/en/exhibition/7338411/salon-real-virtual-10-marko-zink-in-der-maschine), und deren "Salon Real / Virtual"-Konzept sich mittlerweile mehr als nur bewährt hat. 

Das klassische Elefant-Kühlschrank-Problem

An beiden Orten (im gemütlichen Art-déco-Wohnzimmer mit Sitzgarnitur, Chaiselongue und E-Kamin, in dem ein Fake-Feuer flackert, und in den unendlichen Weiten der "Kunstmatrix") erzählt Marko Zink mit surrealem Witz seine intimen Beziehungsgeschichten, die von mitunter unheimlichen Begegnungen handeln: Mensch und Maschine, Kultur und Natur, Künstler und Dichterin (deren Nachnamen ein gewisser Wolf Martin in der "Kronen Zeitung" übrigens einst auf "Dreck" gereimt hat), und nicht zuletzt spielt er offenbar selber gern mit dem Betrachter seiner Fotos Verstecken.

Gemütliches Art-déco-Wohnzimmer: Michaela Stocks Salon Real. Man beachte das Foto links vom Kamin: Marko Zink mit Elfriede Jelinek. 
- © Marko Zink / galerie michaela stock

Gemütliches Art-déco-Wohnzimmer: Michaela Stocks Salon Real. Man beachte das Foto links vom Kamin: Marko Zink mit Elfriede Jelinek.

- © Marko Zink / galerie michaela stock

So kriecht er für seine Serie "In der Maschine" (die gleich der gesamten Schau ihren Titel gegeben hat) in ungenutzten Wohnungen in diverse Haushaltsgeräte hinein. Zwar sowieso nicht in Toaster oder Staubsauger (da hätte er ja nicht viel von sich reinbekommen, eine Hand vielleicht, die Nase, ein Ohr), aber auch wenn Kühlschrank und Geschirrspüler, an die er sich regelrecht verfüttert, geräumiger sind und sich weitaus idealer als Verstecke eignen, hängt immer was raus, ein Ellbogen, eine behaarte Extremität, und das ist irritierend genug.

Fast zwangsläufig musste ich an das klassische Elefant-Kühlschrank-Problem denken, an diesen Intelligenztest: Wie bekommt man einen Elefanten in einen Kühlschrank? Richtige Antwort: Kühlschranktür auf, den Elefanten reinstellen, Tür schließen. Wie bekommt man also einen Künstler in einen Kühlschrank? Kühlschranktür auf, Künstler hineinstopfen, Tür zu? Falsch. Vorher muss man den Elefanten rausnehmen. Erst dann: Künstler rein, Tür zumachen. Abgesehen davon, dass dieser Künstler die Tür einen Spalt offen lässt. Sonst wüsste doch keiner, dass er da drinnen ist. 

Wo hat sich das Publikum versteckt? Zu Hause!

Das Eckige muss aufs Runde (den Plattenteller): Elfriede Jelinek (Ton) und Marko Zink (stumm im Geschirrspüler). 
- © Marko Zink / galerie michaela stock

Das Eckige muss aufs Runde (den Plattenteller): Elfriede Jelinek (Ton) und Marko Zink (stumm im Geschirrspüler).

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Dazu hat ihm nun Elfriede Jelinek, die sich genauso wenig in Erwartungshaltungen hineinquetschen lässt wie er in ein Kastl, das den Abwasch macht, einen Text geschrieben und auf seine Bitte hin außerdem gesprochen, und den hat er wiederum, in Kooperation mit dem Wiener Vinylographen (http://vinylograph.at), auf besagte "Talking Postcards" pressen lassen, diese Postkarten mit Tonspur, die eine lange Tradition haben, im Grunde ein Gruß aus der Vergangenheit sind, die sich in der aktuellen Vinyl-Renaissance freilich grad wieder vergegenwärtigt.

Und das Motiv drauf? Marko Zink, der sich vergebens an die rechten Winkel des Geschirrspülers anzupassen versucht. Die Maschine ist eben eckig, der Mensch hat Rundungen, "organische Formen". Und ist eine Kamera nicht ein magisches Gerät, das Rund in Eckig verwandeln kann, oder warum macht sie eckige Fotos, obwohl das Objektiv rund ist?

Beim Navigieren durch den Salon Virtual, den man ebenfalls lediglich mithilfe einer Maschine besuchen kann (eines Computers oder Smartphones), nähert man sich irgendwann einem zugezogenen roten Vorhang. Plötzlich geht der auf und – Überraschung – man befindet sich selber auf der Bühne. Vor einem Publikum, das sich besser versteckt hat als der Zink in der Küche. Okay, es ist überhaupt keines da. (Lockdown!)

Einsam dreht sich das Eckige (die Tonbildpostkarte) auf dem Runden, dem Plattenteller, übernimmt die Maschine die einzige Sprechrolle, hallt Jelineks existenzieller Monolog (Zink: "Die Jelinek gehört ins Theater!") aerosolfrei durchs leere Grazer Schauspielhaus: "Die Maschine will von uns, als ihrem Handlangervolk, trotzdem irgendeine Art von Respekt, sonst frisst sie uns auf!" Oder: "Hereinspaziert! Wir geben Sie schon wieder her, wenn Sie wollen, aber ohne dass Sie verletzt sind, wird das nicht abgehen." Eine doppelt inszenierte Fotografie quasi. Das Bild, auf dem sich Marko Zink mit der Spülmaschine in Szene setzt, dreht sich schließlich mit.

Im Salon Virtual öffnet sich der Vorhang zum Schauspielhaus Graz (links). Auf den grauen Stellwänden: Marko Zink erkundet eine fremde Küche. 
- © Marko Zink / galerie michaela stock

Im Salon Virtual öffnet sich der Vorhang zum Schauspielhaus Graz (links). Auf den grauen Stellwänden: Marko Zink erkundet eine fremde Küche.

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Inzwischen ist das Theater wieder voller, hat dort Anfang Oktober Jelineks Stück "Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)" Premiere gefeiert und wird parallel zu den Vorstellungen obige Aufzeichnung von Zinks tragikomischer coronakonformer Regiearbeit gezeigt nebst seinen verstörend lustigen "Selfies" mit Maschine im Foyer. 

"Der Mensch ist der Wurmfortsatz der Natur"

Was ist das eigentlich mit ihm und der Jelinek, über deren Preisreden er obendrein eine komplette Diplomarbeit verfasst hat? "Wahrscheinlich bin ich besessen von ihr in irgendeiner Form, aber es ist eine gute Besessenheit." Nachsatz: "Und ich glaube, wir ergänzen uns." Inwiefern? "Ich konstruiere Wirklichkeiten, ich führe Sachen zusammen, die nicht zusammengehören. Die Jelinek ist eine Dekonstruktivistin. Sie zerlegt Wirklichkeiten in Einzelteile, zeigt, was unter der Oberfläche ist." Moment: Wie kommt ein studierter Fotograf dazu, eine Magisterarbeit über die Wir-sind-Nobelpreis-Ikone der österreichischen Literatur anzufertigen? Weil er halt nicht bloß Fotografie studiert hat, sondern auch Germanistik (und Publizistik).

Das erste persönliche Treffen 2010 war jedenfalls denkwürdig. Ob sie so nett wäre, seinen ersten Katalog ("Blinde Flecken") zu signieren, hatte er die Jelinek davor höflich gefragt. Aha, und wieso hätte sie das tun sollen? Ist doch sein Katalog, oder? Eh. Allerdings mit einem weiteren sprachlüsternen Text von ihr drin. Über eine andere Serie ("Im Wald: Tragödien"), wo der nackte Körper erneut in Deckung geht. Diesmal in mehr oder weniger kaputten Landschaften. Und dabei Unterschlupf sucht in der Anonymität des animalischen Fleisches und einer Tiermaske. Sich als Tier outet, freilich als ein anderes als als jenes, das er ist (Menschen sind Tiere – Raubtiere), vielmehr als Giraffe, Frosch, Ziege, Eule, als Teil der Natur, der er nicht entkommen kann. (Zink, der sich hier kurzzeitig ausgewildert hat: "Der Mensch ist der Wurmfortsatz der Natur.")

Suchbild: Wer findet die zwei Heuschrecken? Analoge Panoramafotografie von Marko Zink. Aus seiner Serie "Im Wald: Tragödien". 
- © Marko Zink / galerie michaela stock

Suchbild: Wer findet die zwei Heuschrecken? Analoge Panoramafotografie von Marko Zink. Aus seiner Serie "Im Wald: Tragödien".

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Im üppigen Sonnenblumenfeld lauern zwei Heuschrecken, diese ewig hungrigen Vernichter der Ernten, tarnen sich hinein in die vermeintlich intakte Idylle wie eine gefährliche Drohung, wie zwei apokalyptische Propheten. (Zwei? Marko und einer, der ihm assistiert.) Lauter Suchbilder. Entrisch. Wo verbergen sich die . . ., ja, welcher Spezies gehören die an? "Sind das Tiere? Nein, das sind wire, aber mit Einsprengsel von Tiere", heißt es in Jelineks Essay, in dem sich die verspielte Sprache selber weiterspinnt, die Wörter ein Eigenleben zu entwickeln scheinen. Durch den entsprechenden Teil der virtuellen Galerie begleiten sie einen ebenso, von der Autorin vorgetragen. Im Salon Real müsste man sie dagegen selbst lesen. Im Katalog, von dem bereits die Rede war. 

Die Jogginghose macht einen auf Walhai

Und? Hat sie ihn signiert, den Katalog? Als der Zink ihr die Exemplare gerade wie ausgemacht vor die Tür gelegt hat, hat sie zumindest auf einmal selbige geöffnet ("sie war wohl doch neugierig") und er ("ich war in dieser Hasenstellung") musste lachen. Wegen der Jogginghose, die sie anhatte. Weil das just dieselbe von Adidas war, die er zwischen die Seiten acht und neun seines Katalogs gepresst hatte. Sozusagen. Die driftet da wie ein Walhai durch ozeanische Gefühle. Mit aufgerissenem "Maul", als wollte sie Plankton oder Krill einsaugen. Denn unter dem Serientitel "Schwimmer" hat der Fotokünstler Kleidungsstücke im Meer ertränkt, respektive tauchen Leiberln, Beinkleider und Co. in die Unbeschwertheit ab, machen Urlaub vom menschlichen Körper, emanzipieren sich, tanzen, werden zu eigenständigen Wesen, Subjekten.

Eine Sporthose, fotografiert von Marko Zink, gibt sich ihren ozeanischen Gefühlen hin. (Elfriede Jelinek soll auch so eine haben.) 
- © Marko Zink / galerie michaela stock

Eine Sporthose, fotografiert von Marko Zink, gibt sich ihren ozeanischen Gefühlen hin. (Elfriede Jelinek soll auch so eine haben.)

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Märchenhafte "Aquarelle", deren Entstehung nicht unbedingt ungefährlich war. "Plötzlich zieht an der Burka was." Einer roten, wohlgemerkt. Ein Weißer Hai? Nicht ganz. Eine Karettschildkröte hat deutliches Interesse an ihr bekundet wie ein Stier an der Muleta, am roten Tuch. Den Zweikampf musste unweigerlich der Torrero verlieren. Der Muräne hingegen hat er den Kimono gleich kampflos überlassen. Und die Stöckelschuhe, die auf Zehenspitzen über den Grund des Meeres schleichen? "Hab ich einer Prostituierten in Wien abgekauft. 100 Euro haben die gekostet. Die hat gedacht, ich bin ein Schuhfetischist. Die ist nachher barfuß herumgestanden." 

Sind Filme die besseren Grießnockerln?

Welche Schuhe die Jelinek trug (zu ihrer Adidas-Hose), ist auf dem Foto nicht zu erkennen, für das sie mit ihrem "besessenen" Fan in ihrer Wohnung gemeinsam posiert hat (und das an der Wand der realen Galerie hängt). Was sie auf dem Kopf hat, ist dafür eindeutig ein Häschen. (Eine hochgeschobene Maske.) So schließt sich der Kreis. Oder das Viereck?

Fast wie Monets Seerosen. Nur mit Frosch. (Der Film wurde übrigens gekocht. Von der Erderwärmung? Nein, von Marko Zink.) 
- © Marko Zink / galerie michaela stock

Fast wie Monets Seerosen. Nur mit Frosch. (Der Film wurde übrigens gekocht. Von der Erderwärmung? Nein, von Marko Zink.)

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Ach, und wann erwähne ich endlich Marko Zinks Kochkünste? Jetzt. Seine Spezialität: gekochte . . . Filme. Analoge, folglich. Äh, wie meint er das, dass er sie "kocht"? Wie Nudeln? Oder Knödel? Keine Ahnung. Das Rezept verrät er nicht. ("Das bleibt und ist ein Geheimnis.") Nur so viel: Es muss vor der Belichtung geschehen.

Dass andere dieselbe Idee hatten und sogar Online-Kochkurse geben ("Wir kochen Film: Das Rezept für Film-Suppe" – man nehme einen Herd, einen Topf, Wasser und einen Film), das ist reiner Zufall. Wie der mit der Adidas-Hose. ("Ich hab’s vorher nicht gegoogelt.") Nicht, dass man die Fotos danach essen könnte. Sie werden lediglich malerischer, die Farben unwirklicher, verträumter. ("Der größte Vergleich war: Monet." Seerosenteich und so.) Den Augen schmeckt’s vorzüglich.