"M ALLER D / F OHNE B" – aber der Buchstabe F enthält doch gar kein B! Besonders sportlich bin ich eben nicht und das ist definitiv eine Denksportaufgabe. Das Rätsel, das uns der Ernst Caramelle mit diesem Ausstellungstitel aufgibt, ist allerdings angeblich sowieso eines, "das nicht gelöst werden muss", wie er selbst meint. "Falls Sie es trotzdem lösen, behalten Sie es für sich, so bleibt es unter uns."

Sehr witzig. Wie soll ich denn wissen, ob meine Lösung die richtige ist, sobald ich eine gefunden habe? Andererseits hat er nichts von richtig lösen gesagt. Nur lösen. Und da sich das, was er in der Dependance der Galerie nächst St. Stephan in der Domgasse präsentiert, "auf kryptische Weise" durchaus auf den Titel beziehen soll, kann ich den natürlich nicht einfach so ungelöst stehen lassen. 

Den Sonnenbrand gibt’s jetzt auch in blass

Ein Anagramm eventuell? "Elfmal bohrend" – eher nicht. Und was könnte eine "halbe Feldnorm" sein? Und würde die "Farbe Mondhell" mehr einen Gelb- oder einen silbrigen Weißton bezeichnen? Wobei: In seinen Langzeitbelichtungen (und "lang" kann immerhin 20 Jahre bedeuten) arbeitet Caramelle mit der Sonne, nicht mit dem Erdtrabanten (he, kommt das Mondlicht nicht eigentlich ebenfalls von der Sonne?), deckt monochrome Blätter mit Schablonen ab und lässt sie an den ungeschützten Stellen gezielt ausbleichen. Symmetrische gezackte Formen, die sich mit ihrer ikonenhaften Strenge, der ungewöhnlichen Technik (Sonne auf Papier – Buntpapier) und der samtigen Oberfläche einprägen. Konzeptuelle Sonnenbrände gewissermaßen. Zeichnungen mit Licht und Zeit.

Die Technik? Sonne auf Papier. Je sonniger das Wetter, desto blasser das Blau. ("Blue Zig Zag", 2018, von Ernst Caramelle.) 
- © Markus Woergoetter, Courtesy: Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Die Technik? Sonne auf Papier. Je sonniger das Wetter, desto blasser das Blau. ("Blue Zig Zag", 2018, von Ernst Caramelle.)

- © Markus Woergoetter, Courtesy: Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Vermutlich kein Anagramm also. Was dann? Abkürzungen? "Maß aller Dinge" und "Fass ohne Boden"? Das Maß aller Dinge ist der Mensch, ein Fass ohne Boden kann hingegen alles Mögliche sein. Ein "Maler aller Dimensionen", nämlich von sämtlichen, die sich im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum aufhalten, ist der gebürtige Tiroler (Jahrgang 1952) freilich genauso, der zwar in Frankfurt, Karlsruhe und New York wohnt, aber eh auch nicht an drei Orten gleichzeitig sein kann. Die Farben seiner In-situ-Wandmalereien, für die er ja bekannt ist, können dafür an zumindest zwei Orten zugleich sein: in der zweiten und dritten Dimension. 

Mit Farbe kann man Wände versetzen

Mit wenigen Flächen erzeugt er jetzt in einer Ecke einen markanten 3D-Effekt, erweitert er den Ausstellungsraum, verdreht Wände, reißt sie optisch ein, um einen Pfeiler zu befreien, aus ihm eine freistehende Stütze zu machen. Mit größtmöglicher Effizienz haushaltet er mit seinen Mitteln, kommt mit zwei Farben (und ohne Assistenten) aus, füllt die scharfen Konturen mit seinem Credo aus: mit minimalem Aufwand maximalen Eindruck zu schinden. Trägt mit dem Schwamm, nicht mit dem Pinsel, eigenhändig ("weil das is a gewisse Oberflächlichkeit, die kann man nicht einfach delegieren") ein malerisch verschwommenes Gelb und ein ebenso "menschliches" Schwarz auf und verschmilzt beides ökonomisch mit dem klaren Weiß, das von Anfang an da war, zur ultimativen Illusion. 3D ist dem 2D vielleicht nicht sein T (T wie Tod), doch auf alle Fälle sein E (wie Effekt).

Zwei Vitrinenmodelle. Im linken: Wandmalereien für die Hosentasche. Weil Ernst Caramelle Humor hat. (Und Hosentaschen.) 
- © Markus Woergoetter

Zwei Vitrinenmodelle. Im linken: Wandmalereien für die Hosentasche. Weil Ernst Caramelle Humor hat. (Und Hosentaschen.)

- © Markus Woergoetter

Im Schaufenster lebt Caramelle anscheinend seinen Beschützerinstinkt aus. Vordergründig mit zwei Vitrinen. (Tschuldigung: Modellen davon.) Zählt man indes noch einmal nach, sind’s locker sechs. Weil er in den Schaukästen weitere Minivitrinen deponiert, überhaupt mit den Größenverhältnissen (und Realitätsebenen) pointiert spielt.

Und was beschützt er in den Kastln? Seinen Humor? Schließlich befinden sich in der einen Vitrine "Pocket-size Wall Paintings", Wandgemälde für den Hosensack. Miniaturen zum Einstecken, kolorierte Schrumpfwände. Während auf die andere Vitrine lediglich das Abbild ihres Inhalts draufgezeichnet ist. Bei der sind die Innereien sozusagen draußen.

Hm. Und wenn jede Lösung die richtige ist? Weil es sich schlichtweg um einen Kreativitätsgenerator handelt?