Mut haben sie im MUSA! Da hängt die Hertha Karasek-Strzygowski und der Sergius Pauser, da steht der Wilhelm Frass und der Oswald Haerdtl. Ganz ohne Kontrastmaterial hängen und stehen die Ergebnisse der nationalsozialistischen Ästhetik da.
Mut haben sie im MUSA, fürwahr!
Als das Institut für Zeitgeschichte München - Berlin Adolf Hitlers "Mein Kampf" in einer kritischen Ausgabe auflegte, verhinderten die Herausgeber durch den ständig unterbrochenen Satz, dass der Leser in den Sog von Hitlers Tiraden gerät. Die Pinakothek in München fängt die NS-Kunst mit Kontrastmaterial ab, wenn etwa der systemkonforme Adolf Ziegler dem "entarteten" Max Ernst gegenüber steht. In der MUSA-Ausstellung "Auf Linie - NS-Kunstpolitik in Wien" findet sich, isoliert, ein "entarteter" Oskar Kokoschka. Im Hauptraum sind die NS-Künstler unter sich: Bilder, Skulpturen, Plakate, Mode und Design in Skizzen und Gegenständen.
Kantige Gesichter

Das ist gefährlich, beweist aber, dass die Kuratorinnen Ingrid Holzschuh und Isabella Exinger-Lang dem Geschmack des Betrachters vertrauen. Und solch ein Vertrauen ist tatsächlich vonnöten. Denn zwar sind auf Porträts Hakenkreuzbinden zu sehen, und Igo Pötsch zeigt auf seinem Gemälde "Fahrt des Führers zur Proklamation am 15. März 1938" Ringstraße und Hofburg hakenkreuzfahnenbeflaggt, was naturgemäß als nationalsozialistische Symbolik schon rein oberflächlich abstößt. Doch nicht alles, was man in der MUSA-Schau sieht, ist inferior genug, um ästhetischen Ekel zu verursachen.
Da sind wohl einerseits die typisierten Männer, oft muskulös, nahezu immer mit kantigen Gesichtern und harten Blicken, und die fraulichen Frauen in dienender Haltung, mit Kind oder bei einer einfachen Tätigkeit. Die Porträts bekannter Personen überbetonen das typenhaft Heroische, unbekannte Frauen und Männer sind entindividualisierte Beispiele im Dienst der nationalsozialistischen Lehre von Geschlechterrollen und dem Aussehen des sogenannten Ariers: der Mann, die Frau, der Arbeiter, die Bäuerin.

Hätte man keine Zusatzinformation: Sähe man diesem Kleid eine nationalsozialistische Ästhetik an?
- © Wien Museum / Paul BauerAndererseits aber: Würde man die in der Schau gezeigten Beispiele für Mode und Design, hätte man keine Vorinformation, tatsächlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung bringen? Das hat oft durchaus Eleganz, wirkt mit den einfachen Schnitten und Formen mondän, geschmackvoll, ist angebunden an Jugendstil und Wiener Werkstätte. Und tatsächlich konnten ja auch etwa Josef Hoffmann seine Karriere unter den Nationalsozialisten fortsetzen. Nach Bäuerlichkeit oder Neogermanismus sieht in Mode und Design wenig aus, es spiegelt sich nicht einmal die brutale Überwältigung durch klotzigen Stein, die sich in der Architektur ebenso manifestiert wie in der Bildhauerei.
Wie auch in der Kunst einige Arbeiten aus der Menge der steifen Haltungen und ausdrucklosen Gesichtern herausragen. Rudolf Hermann Eisenmenger etwa - auch bei seinen Werken stellt sich die grundlegende Frage: Wäre ihnen eine nationalsozialistische Ästhetik anzusehen, hinge man sie nicht in eine Ausstellung mit NS-Kunst, sondern in eine mit Neuer Sachlichkeit?
Der Katalog gehört dazu
Die Fülle des Materials jedenfalls ist beeindruckend. Kaum je war der Raum des MUSA so vollgerammelt, die Wände so dicht behängt. Die Absicht mag dahinterstecken, das Material lieblos zu zeigen, wie in einem stilisierten Ramschladen oder in einem Billig-Antiquitätenladen. Zum Verweilen lädt wenig bis gar nichts ein - mit Ausnahme einer Liste der verfolgten Künstler vielleicht, die als unübersehbares helles Objekt die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Ein Plakat mit plakativen Typen: So sieht das ländliche Idealpaar für die Nationalsozialisten aus.
- © Wien Museum / Paul BauerDoch ist die Ausstellung, genau genommen, nur Begleitung des Gesamtprojekts von Ingrid Holzschuh und Isabella Exinger-Lang. Das befasst sich mit der nationalsozialistischen Kunstpolitik in Wien - und die haben die Kuratorinnen, mit wenigen Ausnahmen, klugerweise fast völlig in den detailfreudigen Katalog, ausgelagert, der die Zentralisierung der Kunst, die Wettbewerbe, die Auftragsvergabe und die Bürokratie darstellt. Die Ausstellung zum Ansehen - der Katalog zum Nachlesen der Zusammenhänge: Gut so, Leseausstellungen hat es genug gegeben.
Großformatige Bilder und Beispiele für Skulpturen haben Ingrid Holzschuh und Isabella Exinger-Lang in der Schau übrigens meist tief gehängt oder gestellt. Der Betrachter soll nicht aufschauen - so muss er sich verbeugen. Da wird einem bewusst: In Zusammenhang mit der NS-Kunst kann man es nur falsch machen, macht man es richtig. Und dazu gehört Mut.
Und Mut haben sie im MUSA. Und wie! - Es ist begeisternd.