Um in eine angemessen verquere Stimmung für dieses Buch zu gelangen, sei empfohlen, den hinterhältigen Song "In My Area" der starrsinnigen Band The Fall aufzudrehen. Darin erklärt Mark E. Smith, unruhestiftender Mastermind von The Fall, den Wahnsinn seiner Umgebung: auf den Straßen, in den Pubs - und im eigenen Spiegel von Prestwich, jenem verschrienen Vorort von Manchester, in dem er gedieh.
Austin Collings, der für Text und Fotoauswahl von "Gods Fox" (Pariah Press) verantwortlich zeichnet, ist selbst ein von dieser Gegend Gebrannter. Daher operierte er auch als Co-Autor für "Renegade" - der Autobiografie von Mark E. Smith, die, wie dessen Gesamtwesen, von zynischer Scharfzüngigkeit und grotesker Sturschädelei geprägt ist - erlernt in guter alter Prestwich-Manier.

Und es war auch Mark E. Smith, der 2005 seine zwei Haberer Collings und Charles Gordon "Don" Montgomery einander vorstellte. Don fotografierte von den 1970ern bis Ende der 1990er in dieser bizarr beleumundeten Randzone die alltäglichen Wahnsinnigkeiten, ohne die kleinste Spur von Eitelkeit. Er schmiss seine Abzüge in Einkaufssackerln, ließ sie unter Matratzen verludern oder verschwendete sie als Bierdeckel. An eine Veröffentlichung dachte er nie, er sah sich nicht als Künstler. Fotografieren gehörte für ihn genauso zum Leben wie seine Laster. Mit einer Kunsthochschule hatte er noch weniger zu tun als mit Marcel Prawy.
Dons Vater war Funker bei der Air Force, seine Mutter eine Bardame mit einer gewissen Reputation, oder wie Collings es formuliert: "People came from far and wide to get told to fuck off by her." Als Don Mitte der 70er verwildert und eher zufällig in Prestwich landete, fand er dort die richtige Reibfläche: eine Gang von Hardcore-Hippies, die Friedenstauben zum Frühstück rauchten und mit tiefschwarzem Humor die jungen Punks verschreckten. Ein Proletariat, das sich avantgardistische Strategien einverleibte und halb verdaut wieder ausspie.
Zündeln in der Anstalt
Prestwich war eine Arbeiterklassegegend mit einer jüdischen Community, und man nuschelte zwischen Pint Nummer sechs und acht: Wer hier bleibt, ist entweder Jude oder durchgeknallt - stand doch hier ab 1851 eine psychiatrische Anstalt, die um 1900 mit mehr als 3.000 Patienten die größte Europas war. Die Phrase "going to Prestwich" wurde zum Ausdruck dafür, verrückt zu werden.
Genau hier fand Don eine Anstellung, für die die Bezeichnung "Hauswart" viel zu hochtrabend wäre: Jahrelang hatte er vom Keller aus die Anstaltsheizung zu überprüfen. Er schmiss regelmäßig Acidtrips und schlenderte "under the influence" durch die langen Korridore, wenn er nicht in seinem Kellerstübchen saß, um sich dort mit Freunden zu vergnügen. Als man in den 1990ern das Heizungssystem umstellte, wurde sein Beruf der des anstaltseigenen Glühbirnenwechslers. War die Frühschicht vorbei, saß Don mit seinen "mates" im Pub, so Collings: "Das Pub war ihre Arena." Der Stundenplan wechselte strikt zwischen Arbeit und deren Gegenteil, dazwischen Billard spielen, raufen, rasten, und ambitionslos, aber konsequent fotografieren.
Das erste Kapitel von "Gods Fox" zeigt ausschließlich Bilder aus der Klinik: patinabehaftete Abzüge von billigen Farbfilmen ohne künstlerisch aufgesetzte Ästhetik. Es gibt Lichtblicke in die endlosen Gänge, selbst wenn sie durch vergitterte Fenster scheinen. Patienten tauchen aus dem Nirgendwo auf, schmiegen sich seltsam verdreht an die Heizkörper oder legen sich in vor Sauberkeit strotzender Anzug-Krawatten-Garderobe darunter. Sie tragen Kleidung, die schon damals aus der Zeit gefallen schien, und Gesichter, die in den Jahren der Hospitalisierung eigene Formen annahmen: entrücktes Grinsen, leere Augen, fehlende Zähne. Es menschelt, und eine fatalistische Gelassenheit mit ungeschliffenem Humor blitzt hervor. Dazwischen strolchen wilde Katzen herum, und die Erdbewohner tun es ihnen gleich, lassen sich dort fallen, wo sie wollen: Mal schimmert etwas Befreiendes durch, mal kippt es ins Tragische, doch Dons Fotografie wirkt nie bloßstellend inszeniert. Er ist Teil dieses Spuks. Ohne Don, den rauschhaften Poltergeist, keine Heizung, keine Glühbirnen, keine Heizungskellerpartys. Er zeigt keine aufgelegte Horrorshow, sondern zaubert einen humanistischen Filter durch seine Linse. Für eine explizite Dokumentation des Schreckens in psychiatrischen Anstalten sei viel eher Frederick Wisemans Dokumentarfilm "Titicut Follies" ans Herz gelegt.
Übrigens machte auch der englische Nationalfotograf Martin Parr eine Fotoserie im Prestwich Asylum. Sie erreicht aber nicht das empathische Verhältnis von Don, der dort ein Vierteljahrhundert verbrachte und a priori den Spirit eines Untergründigen mit sich trug. Er zeigt die Ladies und Gentlemen mit Würde, nicht als billige Kalauer, selbst wenn sie unter Partyhüten mit Union Jack Flags aus dünnem Papier wacheln oder im Feenkostüm mit Kuchen und Pappteller auf die Erleuchtung warten. Sich darüber lustig zu machen, wäre einfach. Mit diesen Leuten eine Beziehung aufzubauen, nicht. Ein Knicks, und dann geht man respektvoll nach Hause.
Mit einem Abstecher im Pub.
Die Stadt der Veilchen
Das zweite Kapitel trägt den schlichten Titel "Black Eye". Es schien damals in Prestwich zum guten Ton zu gehören, solche verpasst zu bekommen und die Veilchen der Gewalt fast mit Stolz durch die Gegend zu tragen - manche auf beiden Seiten gleichzeitig oder in Kombination mit Knochenbrüchen: eine lokale Erdung, die woanders als "K.o." gilt.
Das dritte und letzte Kapitel heißt "The Village", und es geht um das schwarze Loch Prestwich, das damals niemand freiwillig aufsuchte. Man sieht Pub-Szenen mit Babys, die Zigaretten essen; psychedelische Spielautomaten mit verführendem Nimbus; Hauspartys, bei denen der Hut brennt: mit unorthodoxen Faschingsverkleidungen, echten Waffen, altertümlichen Tapeten. Plötzlich erscheinen Kinderbanden, die niemandem über 16 trauen und das auch artikulieren.
Mark E. Smith biegt um die Ecke, setzt sich ins Pub mit aufmüpfiger Aura. Am nächsten Tag lehnt er im Türrahmen, die quälende Kehrseite von Amphetamin und Whiskey ins aschfahle Antlitz gezeichnet. Hinter ihm auf der Fensterbank, neben der Blumenvase: eine startbereite Bong.
Sogar Ex-Model und Tragödin Nico, die The Velvet Underground mit ihrer kühlen Stimme Überlegenheit verlieh, schimmert hervor als "Prest-Witch": Viele wunderten sich damals, was der ewig strauchelnde Superstar in diesem "shithole" verloren hätte, doch Nico gefielen die Pubs, in denen sie anonym Pool spielen konnte. Und das Heroin war preiswert. Als Don sie fotografierte, versteckte sie ihre Rauschgiftveilchen hinter einer Sonnenbrille. Ihr Gesicht, schon vom Leben zerknautscht.
Durch das ganze Buch zieht sich der anarchistisch-launige Geist von verleugneten "misfits" - sowohl im Prestwich Hospital als auch in freier Wildbahn , die man nicht durch überhebliches Mitleid herabsetzen sollte: Oft scheinen viel eher sie die Angepassten zu belächeln. Was Richard Billingham für sein Buch "Rays a laugh" daheim fotografierte - einen höchstpersönlichen Blick auf seine alkoholkranke, zwischen euphorischem Taumel und desaströsen Abstürzen stolpernde Familie -, passierte um Don herum in ganz Prestwich. Er war im Auge dieses Orkans, und die Anstalt nicht unbedingt das Zentrum der Anomalien.
Die Texte von Austin Collings umreißen Dons Wesen und Nicht-Wirken fast zärtlich, die Fotosequenzierung erfolgte sehr bedacht in fünfjähriger Sackerl-Archivarbeit. Durch die entstehenden Bilddialoge werden eigene Assoziationsachterbahnen in Gang gesetzt, die wie Vexierbilder zwischen Verzweiflungsschrei und Freudenjauchzen hüpfen. Schon wieder eine Glühbirne zerrissen.
Dons Leben endete so hart, wie seine Leber sein musste. Seine Frau Julie schmiss ihn irgendwann hinaus. Zu viel "Madness In My Area", wie Gefährte Mark E. Smith schon Ende der 1970er dahingenörgelt hatte. Don zog in eine andere Bude in Prestwich und bunkerte sich mit seinem Hund ein, um in Endlosschleife fernzusehen. 2016 verstarb er an Krebs.
Jene Magie, die der nordenglischen Schlangengrube Prestwich attribuiert wird, war eine gefährliche ohne Sicherheitsnetz: mit all ihren bier- und blutgetränkten Teppichböden, beißender Unbarmherzigkeit für die Institutionalisierten, und genähten Cuts über den Augen statt Schulterklopfen. Seit Jahren fragen sich die Gentrifizierungsmobs um Manchester, ob Prestwich noch im Kommen sei oder bereits gekommen wäre. Fakt ist: Die in "Gods Fox" dokumentierte Pub-Kultur ist verschwunden, die Hardcore-Hippies sind ausgestorben, und dort, wo Don in der Anstalt vor sich hin köchelte, steht heute ein riesiger Tesco-Supermarkt.