Auch wenn Paul Flora (1922-2009) seit 1948 Mitglied im internationalen Art Club war und in den 1930er Jahren seine Orientierung gegen den politischen Geschmack von Paul Klee und Lyonel Feininger geprägt war, bezeichnete er sich nicht als Avantgardisten. Mit Pablo Picasso teilte er die Begeisterung für den Zirkus und seine Protagonisten. Er lebte einige Jahre in Innsbruck auf der Hungerburg in Ateliergemeinschaft mit der Malerin Gerhild Diesner und ihrem Mann Bodo Kampmann, der mit dem Widerstandskreis 05 um Otto und Fritz Molden sympathisierte. Die Virtuosität, Frechheit und der Humor seiner feinen Federzeichnungen und zeitweiligen Arbeiten für Zeitungen, führten ihn auch hin zur Karikatur. Doch diese Seite Floras wird nächstes Jahr ab Februar im Karikatur-Museum in Krems präsentiert.
Besinnlich und fantastisch
Die von Antonia Hoerschelmann kuratierte Schau der Albertina konzentriert sich auf die besinnlichen, aber auch fantastischen Blätter des Künstlers. Sie stammen aus dem Bestand der Albertina, die Flora seit den 50er Jahren sammelt, kommen aber auch direkt aus dem Nachlass des Künstlers. Floras lebenslange Freundschaft mit Alfred Kubin und dessen fantastischer Welt ist durch die vielen Nachtstücke und Nebellandschaften am Rande spürbar. Schon in der Schule fiel der Künstler durch sein besonderes Zeichentalent auf, deshalb ist das erste Blatt mit Feder und Tuschepinsel schon 1936 datiert: Da war er gerade 14 Jahre alt. In die Kriegszeit fällt ein Stürzender vom Himmel oder erste städtische Nachtstücke zeigen verlorene Flaneure unter Laternenlicht. Ab 1947 macht sich Floras dünner, energischer Strich bemerkbar. Ganz persönlich ist dann sein typischer, von gekreuzten Schraffuren gekennzeichneter Zeichenstil, der in Österreich nach 1950 vielen bekannt wurde.

Erstaunlich und noch unbekannt ist das Blatt "Himmelserscheinung" von 1951, das an die abstrakte Wendung von Arnulf Rainer und Maria Lassnig damals nach deren Parisreise erinnert. Die Lieblingsthemen des zuweilen zartfarbig aquarellierenden Federzeichners sind nach Zirkus und Schiffsreisen auf Flüssen und dem Meer, auch Venedig, wobei er gerne in die Vergangenheit blickt: auf skurrile Pestmasken der Ärzte im Barock. Der Tod taucht zuweilen als Reiter, aber auch als Frau aus dem zarten Vorhang dichter Schraffuren auf, zeigt den Nebel an und eine darin verschwindende Welt. Rattenmeetings und Rabenversammlungen stehen gleichwertig neben unheimlichem Karnevalstreiben. Der melancholische Rabe ist eindeutig Floras Favorit: Er schafft es, 37 von ihnen auf ein Blatt zu verteilen, oder sie als Alter-Egos über den Winter sinnieren zu lassen. Weinende Affen sitzen im Dunkeln, Tiger, Insekten, eine Katze am Ofen, Hunde und Ratten sind Begleiter der einsamen Menschen in einer oft rätselhaften Welt, in die auch Männer aus dem Mond steigen.
Dinosaurier in Schrebergärten

Soldaten, oft versehrt oder verzweifelt durch den Schnee ziehend - um 2000 taucht auch Napoleon am Rückzug von Moskau auf -, sind neben Dracula, Dieben und Mördern in die einsamen nächtlichen Städte verbannt. Ein Rattenfänger zieht mit seiner Beute durch die Straßen, vom Dach eines Hochhauses fliegt eine Hexe auf.
Es können aber auch Dinosaurier in Schrebergärten auf diesen Wolkenkratzern beheimatet sein, oder ganze Städte im Schnee versinken. Schlösser und Häuser lässt Flora gerne auch im Wasser untergehen, von einem Kirchturm schießt ein Attentäter. 1962 datiert die Federzeichnung "Hasenfang", eindeutig eine Hommage an den in der Albertina beheimateten "Feldhasen" Albrecht Dürers. Denn die Schlinge, mit der ein dicker Jäger den sich duckenden Hasen fangen will, bildet die Grundline einer Arabeske, die der berühmte Nürnberger Renaissance-Künstler in seinem Gebetbuch für Kaiser Maximilian an den Rändern immer wieder verwendet hat. Hier oder in "Ein vergessener Held" von 1999 kommt ein Faktor zum Tragen: das Zeitlose von Floras Zeichenkunst.